Zwangsstörungen (OCD)

Viele Menschen haben einen Zwang sich ständig zu waschen.
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Zwangsstörungen sind Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen, die von Betroffenen ständig wiederholt werden müssen. Sie erleben dabei massive Sorgen und Ängste und sind von starken Alltagsbelastungen betroffen.

Medizinische Expertise

Karina  Ortner

Mag.a Karina Ortner

Klinische Psychologin & Gesundheitspsychologin
Fasangasse 30/10, 1030 Wien
karina-ortner.at
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Inhaltsverzeichnis

Zwangsgedanken sind repetitive, belastende mentale Inhalte, denen sich Betroffene oft vergeblich widersetzen. Trotz ihres unwillkürlichen und mitunter abstoßenden Charakters werden diese Gedanken als integraler Bestandteil der eigenen Person wahrgenommen.

  • Die Zwangsstörung ist eine psychische Verhaltensstörung und zeichnet sich durch wiederkehrende Zwangsgedanken und Zwangshandlungen aus.
  • Die Betroffenen erleben oft massive Ängste und versuchen die Zwänge zu unterdrücken, in der Regel erfolglos.
  • Die Erkrankung ist auf unterschiedliche Faktoren zurückzuführen und kann mithilfe von Erklärungsmodellen besser verstanden werden.
  • Die Voraussetzung für eine Diagnosestellung ist, dass eine Zwangsstörung mindestens über zwei Wochen erfolgt und als erhebliche Belastung im Alltag wahrgenommen wird.
  • Die Behandlung erfolgt meist durch eine Psychotherapie und kann mit einer Einnahme von Medikamenten ergänzt werden.
Art Zählt aktuell noch zu den neurotischen Belastungs- und somatoforme Störungen, im DSM V und im neuen Diagnosemanual ICD 11 dann eine eigene Kategorie: "Zwangsstörungen und verwandte Störungen"
Risikofaktoren

genetische Veranlagung, psychische Belastungen, schwierige Lebensumstände, Krisen, Persönlichkeitsfaktoren

Symptome Wiederholte Ausführung bestimmter Zwangsgedanken und Zwangshandlungen
Therapie Psychotherapie, Medikamente

Die Zwangsstörung (englisch obsessive-compulsive disorder bzw. OCD) gehört zu den psychischen Verhaltensstörungen. Die Störung zeichnet sich durch wiederkehrende Zwangsgedanken und Zwangshandlungen aus. Dabei erleben Betroffene einen intensiven inneren Drang, bestimmte Gedanken wiederholt zu denken oder Handlungen immer wieder auszuführen. Die betroffene Person erlebt den Zwang als präventive Maßnahme gegenüber einem objektiv unwahrscheinlichen Ereignis, das ihr Schaden zufügen könnte oder bei dem sie selbst Unheil anrichten könnte. 

Die Betroffenen versuchen immer wieder gegen diesen Zwang anzukämpfen, können ihm willentlich jedoch meist nichts entgegensetzen. Die Zwänge werden als belastend wahrgenommen und sind in der Regel stark angstbesetzt. Wenn Zwangshandlungen unterdrückt werden, intensiviert sich die Angst massiv. Zwangsstörungen können in manchen Fällen so stark werden, dass sie den Alltag erheblich beeinträchtigen. 

Sie können in jedem Alter auftreten, beginnen meist jedoch im Alter von 20 Jahren. Selten tritt die Störung nach 30 auf. Bei einem Drittel der Betroffenen tritt eine Zwangsstörung bereits in der Pubertät auf. Die Störung bringt hohe Belastungen mit sich. 

Es wird davon ausgegangen, dass verschiedene Faktoren bei der Entstehung von Zwangserkrankungen eine Rolle spielen. Darunter fallen zum Beispiel:

  • genetische Faktoren
  • psychische Belastungen
  • schwierige Lebensumstände
  • Krisen

Persönlichkeitsfaktoren können ebenso bestimmte Zwänge verursachen. Zum Beispiel kann eine Neigung zu einer ausgeprägten Gewissenhaftigkeit und Ordnung zu zwanghaften Verhaltensweisen führen.

Mittlerweile gibt es verschiedene Erklärungsmodelle, die mögliche Ursachen aufdecken:

Neurobiologische Modelle Diese legen nahe, dass Funktionsstörungen in bestimmten Gehirnbereichen, wie dem Frontalhirn, den Basalganglien und dem limbischen System, sowie Störungen im Gehirnstoffwechsel, insbesondere beim Botenstoff Serotonin, eine Rolle spielen.
Lerntheoretische Modelle Sie betrachten Zwangsstörungen als Versuch, Angst- und Spannungszustände durch die Durchführung von Zwangsritualen zu vermeiden. Eine negative Bewertung von Zwangsgedanken kann zu Schuldgefühlen führen und einen Teufelskreis aus Angst und Zwang in Gang setzen.
Psychodynamische Modelle Diese fokussieren auf die inneren, oft unbewussten Konflikte als Ursachen für Zwangsstörungen. Hierbei wird angenommen, dass tiefliegende psychische Konflikte zu den zwanghaften Verhaltensweisen führen können.

Bei einer Zwangsstörung kommt es zu zwanghaften Handlungen oder Gedanken, die Betroffene regelmäßig ausführen müssen. Der innere Drang kann so intensiv sein, dass erkrankte Personen ihre Zwänge oft nicht oder nur schwer kontrollieren können. 

Es gibt verschiedene Formen von Zwangsstörungen. Allgemein unterscheidet man zwischen:

  • Zwangsgedanken
  • Zwangshandlungen 

In der Regel treten beiden Formen gemeinsam auf, bei wenigen Personen treten Zwangsgedanken oder -handlungen isoliert auf.

Zwangsgedanken:

Bei Zwangsgedanken kommt es zu zwanghaften Gedanken, Vorstellungen oder Impulsen, die wiederholt und gegen den Willen der Betroffenen auftreten und sich nur schwer unterdrücken lassen. Sie werden oft als quälend wahrgenommen und Betroffene versuchen meist erfolglos, sich dagegen zu wehren. 
Die Zwangsgedanken können als lästig und aufdringlich erlebt werden, aber auch beschämend und abstoßend.

Zwangsgedanken lassen sich in unterschiedliche Kategorien einteilen:

  • Zwangsideen und -befürchtungen
  • Aggressive Zwangsgedanken
  • Grübelzwang
  • pathologische Zweifel
  • Zählzwang
  • Wiederholungen
  • Streben nach Symmetrie und Ordnung
  • Erledigungszwänge

Am häufigsten Betreffen die Zwangsgedanken die Angst vor Schmutz oder Krankheitserregern (Kontamination) oder drohenden Gefahren.
Es kann auch die Befürchtung etwas vergessen zu haben oder sich in bestimmten Situationen unangemessen zu verhalten. Manchmal haben erkrankte Personen Angst jemanden zu verletzen oder "verbotene" Dinge zu tun.

Zwangshandlungen: 

Zwangshandlungen sind bestimmte zwanghafte Tätigkeiten, die ständig wiederholt werden müssen. Dabei entstehen häufig Rituale, welche Betroffene wiederholt nach dem gleichen Ablaufschema ausführen müssen. Oft werden diese Handlungen von starken Ängsten oder (Sicherheits-)Bedürfnissen begleitet. Wenn die Zwangshandlung nicht oder nur unvollständig ausgeführt wird, dann löst das bei der betroffenen Person starke innere Nervosität, Unruhe oder Anspannung aus.

Es gibt verschiedene Arten von Zwangshandlungen:

Reinlichkeitszwang Dabei neigen Betroffene zu überpenibler Sauberkeit (zum Beispiel Händewaschen, bis sie wund sind).
Kontrollzwang Es muss ständig etwas überprüft werden, zum Beispiel ob die Tür zugesperrt oder der Herd abgedreht ist.
Ordnungszwang Betroffene haben den Drang eine übertriebene Ordnung einzuhalten und zum Beispiel gewisse Gegenstände in einer exakten Reihenfolge anzuordnen.
Berührzwang Es müssen bestimmte Objekte angefasst werden.
Verbale Zwänge Zahlen, Sätze oder Melodien werden ständig wiederholt.
Sammelzwang Manche Menschen verspüren einen starken Drang, bestimmte Dinge in großen Mengen zu sammeln. Beispielsweise können Betroffene immer wieder neue Schuhe kaufen, selbst wenn sie bereits viele in ihrem Schrank haben.  Unterscheidet sich vom pathologischen Horten oder Messie-Syndrom.

 

Zwangsphänomene (Zwänge) können auch im Kleinkindalter und Jugendalter auftreten. Zwänge bei Kindern können von normalen, entwicklungsbedingten Verhaltensweisen bis zu schweren Zwangsstörungen reichen. Krankheitswertig wird es erst wenn ein hoher Leidensdruck besteht und die Wiederholung der Zwangshandlungen als sehr belastend erlebt wird. 
Im Gegensatz dazu können Bestimmte Rituale helfen, den Kindern ein Gefühl von Halt und Sicherheit zu geben, zum Beispiel feste Einschlafrituale.

  • Beispiele für Zwänge sind Zählzwänge, Waschzwänge, Berührungszwänge und Kontrollzwänge.
  • Zwangsstörungen treten bei jüngeren bei Kindern relativ selten auf (0,2% bis 0,35%), sie beginnen meist erst im Volksschulalter und können mit anderen psychischen Störungen verbunden sein.
  • Zwangssymptome können aus Vorstellungen, Gedanken, Impulsen oder Handlungen bestehen.

Es ist wichtig, bei auffälligem Verhalten professionelle Hilfe zu suchen, um festzustellen, ob es sich um normale Entwicklungsphasen handelt oder eine psychotherapeutische Behandlung notwendig ist. Eltern sollen in die Erziehungsberatung einbezogen werden.

Im Rahmen des Diagnoseprozesses werden zu Beginn die Krankengeschichte (Anamnese) und relevante Informationen zu den Beschwerden und der Lebensgeschichte erhoben, einschließlich belastender Krisen, anderer Erkrankungen und Medikamenteneinnahmen. Eine klinisch-psychologische Diagnostik ist ebenfalls von Bedeutung. Zur Abklärung möglicher körperlicher Ursachen, wie Demenz oder Schlaganfall, können neurologische Untersuchungen oder ein MRT durchgeführt werden.

In Österreich erfolgt die Diagnose von Zwangsstörungen aktuell nach der ICD-10 (International Classification of Diseases), wobei auch die Diagnosekriterien des internationalen DSM-V herangezogen werden können.

Die folgenden Voraussetzungen müssen für die Diagnose einer Zwangsstörung erfüllt sein:

  • Je nach Diagnosemanual müssen die Zwangsgedanken oder -handlungen dauern über mindestens zwei Wochen andauern oder täglich mindestens 1 Stunde Zeit in Anspruch nehmen an.
  • Die Zwänge beeinträchtigen den Alltag erheblich.

Es gibt psychische Erkrankungen, die Zwangsstörungen ähneln, wie z.B.:

  • die generalisierte Angststörung, die durch starke Sorgen und Ängste in Bezug auf verschiedene Lebenssituationen gekennzeichnet ist.
  • Auch Tic-Störungen können ähnliche Symptome zeigen und gemeinsam mit Zwangsstörungen auftreten, insbesondere wenn die Erkrankung im Kindesalter beginnt.

Zusätzlich können Zwangsstörungen gemeinsam mit anderen psychischen Erkrankungen auftreten, beispielsweise Depressionen im Erwachsenenalter, Angststörungen, Essstörungen oder Schizophrenie. In Ausnahmefällen kann das zwanghafte Verhalten auf eine Persönlichkeitsstörung zurückgeführt werden, wie etwa die Zwanghafte Persönlichkeitsstörung. Diese ist unter anderem durch ausgeprägten Perfektionismus und starre Verhaltensmuster gekennzeichnet.

Die Therapie von Zwangsstörungen zielt darauf ab, die Symptome zu verbessern und einen unbeschwerten Alltag für Betroffene zu ermöglichen. Oft erfolgt die Behandlung durch den Einsatz von:

Vor allem die Empfehlung von Psychotherapie steht im Vordergrund, wobei ein Gespräch mit einer Fachärzt:in für Psychiatrie oder psychotherapeutische Medizin helfen kann, die geeignete Behandlungsmethode zu finden.

Psychotherapie oder klinisch psychologische Behandlung
Psychotherapie oder klinisch psychologische Behandlung bietet die Möglichkeit, über Probleme, Ängste und Sorgen zu sprechen. Betroffene lernen, mit der Erkrankung besser umzugehen und ihr eigenes Verhalten zu kontrollieren. Verhaltenstherapeutische Ansätze, insbesondere aus der kognitiven Verhaltenstherapie, werden häufig in der Behandlung von Zwangsstörungen angewendet und sind wissenschaftlich gut überprüft. 

Medikamente 
Medikamente, wie sogenannte Antidepressiva, werden oft ergänzend zur Psychotherapie eingesetzt, insbesondere selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wie auch Clomipramin. Die Psychiater:in informiert umfassend über die Wirkung und mögliche Nebenwirkungen.

Weitere ergänzende Behandlungsmöglichkeiten:

  • Entspannungstechniken: Entspannungstechniken wie progressive Muskelentspannung oder autogenes Training können ebenso unterstützend wirken. 
  • Selbsthilfegruppe: Viele Betroffene nehmen als Ergänzung zum professionellen Gesundheitswesen (Therapie, Kliniken, Ärzt:innen) Selbsthilfegruppen in Anspruch. Sie bieten Menschen mit gemeinsamen oder ähnlichen Problemen die Möglichkeit, sich zusammenzuschließen und Erfahrungen auszutauschen. 
  • Stationärer Krankenhausaufenthalt/Rehabilitation: In Fällen, in denen die Erkrankung besonders stark ausgeprägt ist, kann auch ein stationärer Krankenhausaufenthalt oder eine Rehabilitation in Betracht gezogen werden. Dies ermöglicht eine intensivere Betreuung und eine umfassende therapeutische Unterstützung.

Die Interaktion mit Menschen, die an einer Zwangsstörung leiden, kann für Angehörige mitunter herausfordernd sein und zu Konfliktsituationen führen. Dennoch spielen Angehörige eine entscheidende Rolle als Unterstützungssystem für Personen mit einer Zwangsstörung und können aktiv in den Behandlungsprozess einbezogen werden. 

Es gibt auch spezielle Selbsthilfegruppen für Angehörige, in denen Erfahrungen ausgetauscht werden können. Hierbei geht es darum, welche unterstützenden Verhaltensweisen hilfreich sind, wie man am besten für sich selbst sorgt und welche Ansätze in der Bewältigung förderlich sind.


Autor:in:
Redaktionelle Bearbeitung:
Medizinisches Review:
Erstellt am:

20. Februar 2024

Stand der medizinischen Information:

20. Februar 2024


ICD-Code:
  • F42

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