Dr. Holak: Die von den meisten Patient:innen als "Rheuma" wahrgenommenen Erkrankungen beruhen auf Fehlfunktionen des angeborenen oder erworbenen Immunsystems. Die körpereigene Abwehr schützt uns eigentlich gegen alle Arten biologischer Feinde (Viren, Bakterien,..), beseitigt aber z.B. auch abgestorbene oder entartete Zellen. Aufgrund immer noch nicht völlig verstandener Ursachen kann es jedoch passieren, dass diese Systeme Jagd auf körpereigenes Gewebe machen, das sie plötzlich als potentiell feindlich interpretieren - im Falle von Rheumapatient:innen betrifft das vor allem Gelenke. Diese Entzündungen zerstören auf schmerzhafte Weise über kurz oder lang ganze Gelenksstrukturen samt Verlust der Funktionalität, weshalb ein rasches, zielgerichtetes therapeutisches Eingreifen von enormer Bedeutung ist!
Dr. Holak: Hier wissen wir seit einigen Jahren, dass es eine immunologische Überlappung gibt. Konkret, dass bei vielen rheumatischen Erkrankungen körpereigene Botenstoffe in verschiedensten Organsystemen (Gelenke, Haut, Darm, Augen,.. ) eine Entzündung zeitgleich oder auch nacheinander verursachen können. Schweregrad und Schubhäufigkeit dieser Entzündungen laufen dabei meistens eigenständig, ein Gelenksschub muss also nicht zwangsläufig auf den Darm übergreifen und vice versa. In Summe bedingt das einerseits die engmaschige Überwachung betroffener Patient:innen – auch über die Grenzen des eigenen Fachgebietes hinaus – sowie die optimale interdisziplinäre Zusammenarbeit. Erfreulich ist, dass man mit modernen Therapien wie Biologika oder Small Molecules im Idealfall mehrere Entzündungsherde gleichzeitig optimal kontrollieren kann.
Dr. Holak: Während bei der Rheumatoiden Arthritis nur eine sehr geringe Häufung eines zeitgleichen Auftretens chronisch entzündlicher Darmerkrankungen (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa) in Studien gezeigt wurde, ist dieses Phänomen bei Erkrankungen aus dem Formenkreis der Spondyloarthropathien wie Psoriasis-Arthritis oder ankylosierender Spondylitis ("Morbus Bechterew") seit vielen Jahren bekannt. Ursächlich sind Überschneidungen in den entzündlichen Signalwegen, wo beispielsweise Aktivierungen von Immunzellen in der Darmwand im weiteren Verlauf auch Gelenke und Sehnenansätze erreichen können.
Dr. Schleicher: Hier spielt das körpereigene Immunsystem die Hauptrolle. Durch eine Fehlsteuerung hält es Bestandteile der Darmschleimhaut fälschlich für gefährlich - ein anhaltender Fehlalarm, der eine dauerhafte Entzündungsreaktion gegen das eigene Darmgewebe auslöst. Die Ursachen sind vielfältig: genetische Veranlagung, eine gestörte Barrierefunktion der Darmschleimhaut, Veränderungen der Darmflora sowie Umweltfaktoren wie Ernährung oder frühere Infekte spielen alle eine Rolle. Wichtig: Niemand hat "Schuld" an dieser Erkrankung. Sie verläuft oft in Schüben, unbehandelt kann die Entzündung bestehen bleiben und Komplikationen nach sich ziehen. Mit moderner, individuell angepasster Therapie lässt sie sich heute in den meisten Fällen gut kontrollieren – für spürbar mehr Lebensqualität.
Dr. Schleicher: Bei CED kann die überschießende Immunantwort so aus dem Ruder laufen, dass dieselben fehlgeleiteten Abwehrprozesse auch außerhalb des Darms Entzündungen auslösen können. Man spricht hierbei von extraintestinalen Manifestationen. Besonders häufig betroffen sind die Gelenke. Dort macht sich die Entzündung durch Schmerzen, Schwellung und Rötung bemerkbar. Darm- und Gelenkbeschwerden verlaufen oft parallel, können aber auch unabhängig voneinander auftreten. Zudem haben Patient:innen mit CED aufgrund ähnlicher zugrunde liegender Mechanismen (einer überschießenden, fehlgeleiteten Immunreaktion) ein erhöhtes Risiko, zusätzlich an anderen eigenständigen Autoimmunerkrankungen wie der Rheumatoiden Arthritis zu erkranken. Wichtig ist, Symptome frühzeitig anzusprechen, denn viele moderne Therapien wirken entzündungshemmend, unabhängig vom Ort der Entzündung.
Dr. Schleicher: Beide Erkrankungen können die Gelenke betreffen, bei Morbus Crohn sehen wir jedoch eine periphere Gelenksbeteiligung (z. B. Hände, Knie) tendenziell etwas häufiger als bei Colitis ulcerosa. Im klinischen Alltag ist dieser geringe Unterschied jedoch meist nachrangig. Entscheidender ist, bei beiden Erkrankungen früh hellhörig zu sein und die Therapie entsprechend abzustimmen, denn jede Gelenksentzündung führt, wie die Darmentzündung, zu Zellschaden und langfristig Funktionsverlust.
Dr. Schleicher: Ein entscheidendes Warnsignal ist das gleichzeitige Auftreten von Beschwerden im Darm (wie Durchfälle, Krämpfe, Blut im Stuhl) und an den Gelenken (Schwellungen, Schmerzen, Steifigkeit). Besonders aufmerksam sollten Betroffene sein, wenn beide Symptomgruppen parallel oder schubweise verstärkt auftreten. Eine familiäre Häufung von Autoimmunerkrankungen erhöht das Risiko und sollte frühzeitig ärztlich angesprochen werden.
Dr. Holak: Vorauszuschicken ist, dass das erstmalige Auftreten von Gelenksschmerzen vor dem Beginn der CED beobachtet werden kann, genauso aber auch zeitgleich, oder erst viele Jahre später – vereinfacht gesagt, es gibt kein universelles Muster. Hinweisend auf rheumatische Ursachen sind: Ruheschmerz mit Besserung unter Bewegung; ziehende, nicht "einschießende" Schmerzen; bei Rückenschmerzen das Auftreten in der zweiten Nachthälfte; Sehnenschmerzen mit wenig oder fehlender vorangegangener Belastung; die prompte Besserung auf nonsteroidale Schmerzmittel.
Dr. Schleicher: Heutzutage stehen gezielte Therapien zur Verfügung, die Entzündungen unabhängig vom betroffenen Organ hemmen – darunter Biologika und sogenannte Small Molecules. Diese Medikamente können sowohl Darm- als auch Gelenkbeschwerden effektiv behandeln. Wichtig ist, die Therapie individuell zu wählen und regelmäßig zu prüfen, ob die Beschwerden beider Organe gut kontrolliert werden.
Dr. Holak: Erfreulicherweise können wir inzwischen aus einem reichhaltigen Portfolio hochwirksamer Therapien auswählen. Diese bieten sowohl bei komplexen Befallsmustern, aber auch Herausforderungen wie schweren Begleiterkrankungen oder höherem Alter, eine gute Chance langanhaltender, hoher Wirksamkeit. Therapien gibt es mittlerweile als Infusion, als Fertigspritze zur Eigenapplikation, aber auch als Tablette. Entscheidend sind eine umfassende Aufklärung und die optimale Abstimmung der einzelnen Fachrichtungen.
Besser leben mit Rheuma – Teil der #Rheumunity werden!
Die Plattform www.lebenmitrheuma.at bietet Wissenswertes über entzündliches Rheuma, moderne Therapien, aber auch hilfreiche Tipps und Videos rund um das Thema. Unter anderem können Betroffene hier auch einen Rheuma-Selbsttest durchführen und herausfinden, wie stark bestehende rheumatische Beschwerden die eigene Lebensqualität beeinflussen. Ziel der Therapie ist es, eine Remission, d.h. den Stillstand, oder eine maximale Kontrolle der Erkrankung zu erreichen.
Mehr Infos: www.lebenmitrheuma.at
* Quellen:
INTEGRAL, Onlinebefragung: Patient:innen, die an Rheuma leiden, n = 316, Studie 7995 – Jänner bis Februar 2025
INTEGRAL, Onlinebefragung: Patient:innen, die an CED leiden, n = 380, Studie 7955 – April bis Mai 2025