Schulangst (Schulverweigerung, Schulphobie)

Kinder mit Schulangst haben oft starke Leistungsängste.
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Schulangst ist ein bekanntes Phänomen. Die Gründe sind vielfältig, jedoch spielen psychische oder psychosoziale Faktoren eine wichtige Rolle.

Medizinische Expertise

Nicola Puchas

Nicola Puchas

Coaching - Kinder- und Jugendberatung
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Schulangst wird dann zum Problem, wenn das Kind im Alltag beeinträchtigt wird und häufig im Unterricht fehlt (Schulvermeidung). Dies kann ein Anzeichen für eine Angststörung sein, die auf den Lebensraum Schule fokussiert ist. Die Schulangst ist abzugrenzen von der "Schulphobie".

  • Die Schulangst kann zu einer Angsterkrankung im Kindesalter eskalieren.
  • Typische Symptome wie Herzklopfen, Bauchschmerzen und depressive Verstimmungen können auftreten.
  • Neben der Schulangst existiert noch die "Schulphobie", beide können in "Schulverweigerung" resultieren.
  • Die Diagnose erfolgt durch klinische Interviews und Selbstbeurteilungsverfahren.
  • Wichtige Therapieansätze umfassen die kognitive Verhaltenstherapie, verschiedene
  • Entspannungsverfahren und in schwerwiegenden Fällen auch die Pharmakotherapie.
Art Angststörung in Bezug auf schulbezogene Situationen
Risikofaktoren Introversion, traumatische Kindheitserlebnisse, Frustrationstoleranz,
langanhaltende und stressreiche Belastungen, Bindungsverhalten an die Eltern, Persönlichkeitsvariablen
Symptome Herzklopfen, Herzrasen, Bauchschmerzen, Übelkeit, Schweißausbrüche, depressive Verstimmungen und Schlafstörungen
Therapie kognitive Verhaltenstherapie, Entspannungsverfahren, Pharmakotherapie

Es gibt keine spezifische diagnostische Kategorie für Schulangst, aber sie kann als Symptom oder Manifestation verschiedener zugrunde liegender psychischer Probleme oder Störungen auftreten. Die Schulangst kann als eine Form der sozialen Phobie betrachtet werden, wenn die Angst des Kindes hauptsächlich auf soziale Situationen in der Schule gerichtet ist. Phobien zählen zu den häufigsten Angsterkrankungen im Kindes- und Jugendalter und treten ungefähr bei 5 - 6 % der Kinder und Jugendlichen auf. 

Die Schulangst ist eine auf den Lebensraum Schule gerichtete Angst und äußert sich durch:

  • physische und emotionale Symptome
  • aber auch durch Verhaltenssymptome wie häufiges Fernbleiben vom Unterricht
  • daneben können auch weitere Erkrankungen wie Angststörungen, Zwänge oder Depressionen bestehen 

Statistisch gesehen sind Mädchen häufiger betroffen als Jungen, wobei Mädchen auch eine größere Symptomausprägung aufweisen können. Bei etwa 10 % der Kinder kommt es zu einer Chronifizierung, insbesondere wenn mehrere Ängste oder depressive Störungen gleichzeitig auftreten. Daher ist eine frühzeitige Abklärung äußerst wichtig, um mögliche Risiken zu erkennen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen.

Die Entwicklung von Ängsten bei Kindern kann sich häufig spontan und unerwartet zeigen, insbesondere bei solchen mit unauffälligem Verhalten. Es besteht die Möglichkeit einer Spontanremission mit vollständiger Normalisierung. Der Beginn dieser Ängste tritt in der Regel schon im frühen Kindesalter auf, oft vor dem 8. Lebensjahr, und die Ängste können sich bis ins Erwachsenenalter, wenn sie unbehandelt bleiben, fortsetzen. Neben der Schulangst ist es wichtig, zwischen der "Schulphobie" und dem "Schulschwänzen" zu unterscheiden.

Wichtige Abgrenzungen

Schulphobie Im Unterschied zur Schulangst steht bei der Schulphobie oft die Angst vor der Trennung von der primären Bezugsperson im Mittelpunkt und wird deshalb auch als Trennungsangst bezeichnet. Aufgrund der starken Bindung an die Mutter oder eine andere Bezugsperson, befürchten Kinder oft schon vor der Schule, was der Mutter oder ihm während der Abwesenheit zustoßen könnte. Bei trennungsängstlichen Kindern liegen meist ein auffallend ängstliches Verhalten und depressive Verstimmung vor. Es können auch körperliche Symptome wie Bauchschmerzen oder Übelkeit auftreten.
Schulschwänzen Dem Schulschwänzen liegen oft keine Ängste oder emotionalen Belastungen zugrunde, dann ist es eher als ein Problem des Sozialverhaltens anzusehen. Dabei wird der Schulalltag als lästig empfunden und zugunsten anderer Aktivitäten wie zum Beispiel Computer spielen gemieden. Schulschwänzen kann auch andere Ursachen wie familiäre Probleme, Mobbing oder Leistungsprobleme haben, es kann aber auch eine Manifestation zugrunde liegender psychischer Probleme darstellen.
Schulangst Bei der Schulangst handelt es sich wie bereits erwähnt um eine Angststörung, die speziell auf die Schule gerichtet ist. Betroffene Kinder und Jugendliche haben oft starke Sorgen und Ängste in Bezug auf den Schulort oder auch das Erbringen von guten Noten. Oft berichten Betroffene von bestimmten angstauslösenden Situationen.

Beispiele für angstauslösende Situationen 

  • Vor allem bei jüngeren Kindern kann die Trennung von den Eltern zu Angst und Unbehagen führen.
  • Das Verhalten von Lehrpersonen oder Mitschüler:innen kann Angst auslösen.
  • Perfektionistisch veranlagte Kinder und Jugendliche haben häufig hohe Erwartungen und Leistungsansprüche an sich selbst. Durch den starken Druck können Leistungsängste entstehen.
  • Familiäre Konflikte oder Leistungsdruck durch die Eltern können zu beängstigenden Situationen führen.
  • Auch Erfahrungen mit Mobbing oder Konflikte mit Gleichaltrigen können eine Schulangst auslösen.

Jede Form der Angsterkrankung äußert sich auf drei verschiedenen Ebenen: 
Auf der körperlichen, der emotionalen und der Verhaltensebene. 

Emotionale Ebene:

  • In den meisten Fällen haben Kinder eine große Erwartungsangst und fürchten sich oft am Vorabend vor dem morgigen Schultag.
  • Kinder mit Schulangst haben oft die Sorge vor der Klasse bloßgestellt zu werden.
  • In Leistungssituationen oder auch in sozialen Begegnungen zu versagen, stellt Betroffene vor eine starke Herausforderung und kann Ängste herrufen.
  • Die Schulangst kann aber auch dann auftreten, wenn reale Bedrohungen vorliegen, wie Mobbing, körperliche Übergriffe, Angst vor Bestrafung durch Eltern oder Lehrpersonen etc.
  • Angstauslösenden Situationen werden am liebsten vermieden, weil sie für die meisten Betroffenen eine zu große Herausforderung darstellen. 

Verhaltensebene:

  • Wenn Kinder gezwungenermaßen in die Schule gehen müssen, zeigen sich oft eine hohe Anspannung, Ruhelosigkeit und Konzentrationsprobleme.
  • Durch längere Phasen des Fernbleibens vom Unterricht kann es zu depressiven Verstimmungen kommen
  • Oft leiden betroffene Kinder an Schlafstörungen und haben häufiger Albträume.
  • Betroffene wirken stark gereizt und stellen sich mit Wutausbrüchen den unangenehmen Situationen entgegen.

Körperlichen Ebene:

  • Viele Betroffene erleben körperliche Symptome, die oft fälschlicherweise einer körperlichen Erkrankung zugeordnet werden.
  • Häufig treten Symptome wie Herzklopfen, Herzrasen, Atembeschwerden, Beklemmungsgefühle und Brustschmerzen auf.
  • In vielen Fällen ist auch der Verdauungstrakt betroffen. Das bedeutet, dass sich Symptome wie Mundtrockenheit, Schluckbeschwerden, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen und Probleme beim Stuhlgang zeigen können.
  • In der angstauslösenden Situation berichten Kinder oft von Schweißausbrüchen, Erröten, Zittern, Schwächegefühl, Muskelverspannungen und Kopfschmerzen

Für die präzise Diagnose von Ängsten bei Kindern werden strukturierte klinische Interviews wie DIPS oder SKID verwendet. Diese ermöglichen eine detaillierte Erfassung der Symptome und dienen als Grundlage für eine fundierte Beurteilung. Zusätzlich kommen störungsspezifische und störungsübergreifende Selbst- und Fremdbeurteilungsverfahren zum Einsatz, um ein umfassendes Bild der individuellen Situation zu erhalten.

Angstfragebögen bieten eine weitere Möglichkeit, spezifische Ängste zu erfassen und zu quantifizieren. Diese Instrumente ermöglichen eine systematische Bewertung, die für die Erstellung eines differenzierten Therapieplans von großer Bedeutung ist.

Ein weiterer wichtiger Ansatz zur Diagnose und Verfolgung von Ängsten bei Kindern ist das Führen von Tagebüchern. Diese ermöglichen nicht nur eine kontinuierliche Beobachtung und Dokumentation der Ängste, sondern bieten auch die Chance, Muster und Auslöser zu identifizieren, was die Entwicklung eines zielgerichteten Therapieansatzes unterstützt. Insgesamt tragen diese verschiedenen Methoden dazu bei, eine umfassende und individualisierte Herangehensweise an die Diagnose und Behandlung von Ängsten bei Kindern zu gewährleisten.

Es gibt verschiedene Therapiemöglichkeiten bei Angststörungen. Eine davon ist die Pharmakotherapie. Sie ist aber nur dann eine Option zur Behandlung von Schulangst, wenn andere Interventionsansätze nicht ausreichend wirksam waren oder wenn die Symptome so schwerwiegend sind, dass sie das tägliche Funktionieren des Kindes beeinträchtigen.

Pharmakotherapie 

In Bezug auf die Pharmakotherapie bei Ängsten, insbesondere bei sozialer Phobie, Agoraphobie und generalisierter Angststörung, wird vorwiegend auf den Einsatz von Antidepressiva zurückgegriffen. 

  • Wirkung: Diese Medikamente haben eine angstlindernde und stimmungsaufhellende Wirkung, was besonders bei der Behandlung dieser Störungsbilder von Nutzen ist. Es ist jedoch zu beachten, dass beim Einsatz von Antidepressiva mit nicht geringen Nebenwirkungen zu rechnen ist und mögliche Rückfälle nach dem Absetzen auftreten können.
  • Akutbereich: Im Notfall kann kurzfristig auch auf Benzodiazepine zurückgegriffen werden. Diese Medikamente zeigen eine schnelle angstlösende Wirkung. Allerdings besteht hier das Problem des Suchtpotentials, weshalb ihr Einsatz auf den Akutbereich beschränkt sein sollte.

Die Entscheidung über die Wahl der Pharmakotherapie sollte sorgfältig unter Berücksichtigung der individuellen Situation der Patient:innen und unter regelmäßiger ärztlicher Überwachung getroffen werden. Die Pharmakotherapie sollte immer Teil eines umfassenden Behandlungsplans sein, der auch nicht-medikamentöse Interventionen umfasst, wie z.B. psychotherapeutische Unterstützung und Elternberatung.

Eine weitere Behandlungsmethode stellt die kognitive Verhaltenstherapie dar.

Kognitive Verhaltenstherapie

Die kognitive Verhaltenstherapie stellt einen wirksamen therapeutischen Ansatz dar, insbesondere um Rückfälle bei Ängsten zu vermeiden. Diese Therapieform zielt darauf ab, nicht nur die Symptome zu lindern, sondern auch das eigentliche schädliche Fehlverhalten zu behandeln. Hierbei spielen verschiedene Methoden eine entscheidende Rolle:

  • Psychoedukation (Teufelskreis der Angst): Durch Aufklärung und Vermittlung von Wissen über den Teufelskreis der Angst werden Patient:innen befähigt, die Zusammenhänge zwischen ihren Gedanken, Gefühlen, körperlichen Reaktionen und Verhaltensweisen zu verstehen. Dies ermöglicht eine gezieltere Auseinandersetzung mit den eigenen Ängsten.
  • Exposition (in sensu und dann in vivo): Die kognitive Verhaltenstherapie setzt auf die schrittweise Konfrontation mit angstauslösenden Situationen, zunächst in der Vorstellung (in sensu) und anschließend in der Realität (in vivo). Dieser schrittweise Ansatz hilft dabei, die Angstreaktion zu reduzieren und den Patient:innen zu ermöglichen, mit den Ängsten umzugehen.
  • Rückfallprophylaxe: Ein zentraler Bestandteil der kognitiven Verhaltenstherapie ist die Rückfallprophylaxe. Hierbei werden Strategien erarbeitet, um möglichen Rückfällen vorzubeugen. Dies beinhaltet die Festigung erlernter Techniken und die Entwicklung von Bewältigungsstrategien für zukünftige Herausforderungen.

Insgesamt bietet die kognitive Verhaltenstherapie somit einen strukturierten und ganzheitlichen Ansatz zur Bewältigung von Ängsten, der darauf abzielt, langfristige positive Veränderungen im Denken und Handeln der Patient:innen zu fördern.

In der Therapie von Angststörungen ist ein wichtiges Ziel, Angstauslöser zu identifizieren. Dazu gehören: 

  • automatische, hinderliche Gedanken
  • negative Kontrollüberzeugungen
  • negative Grundüberzeugungen über das Selbst und andere Menschen

Die Sichtbarmachung ermöglicht es, positive Glaubenssätze zu entwickeln und zu stärken. Dieser Prozess fördert eine bessere Selbstwahrnehmung und kann die Lebensqualität nachhaltig steigern.

Entspannungsverfahren

Es gibt verschiedene Entspannungsverfahren, die dazu dienen, Stress abzubauen und eine allgemeine Entspannung zu fördern. Hier sind einige gängige Methoden:

  • Melfsen, S., & Walitza, S. (2013). Soziale Ängste und Schulangst: Entwicklungsrisiken erkennen und behandeln. Beltz Verlag.
  • Brodersen, G., & Castello, A. (2022). Schulangst: Pädagogische Förderung im Alltag. Kohlhammer Verlag.

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Redaktionelle Bearbeitung:
Medizinisches Review:
Erstellt am:

26. März 2024

Stand der medizinischen Information:

26. März 2024

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