Social Media-Sucht

Menschen mit Social Media Sucht
Problematisches Nutzungsverhalten hat in den letzten Jahren stark zugenommen.
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In den letzten Jahren hat die problematische Nutzung sozialer Medien stark zugenommen.

Medizinische Expertise

Clemens Hrobsky

Mag. (FH) Clemens Hrobsky

Personzentrierter Psychotherapeut
Grundsteingasse 40/4-5, 1160 Wien
www.praxis-hrobsky.at
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Soziale Medien ermöglichen uns, Inhalte zu teilen und uns zu vernetzen. Menschen halten sich oft stundenlang auf sozialen Plattformen auf und vergessen dabei schon mal Raum und Zeit. Durch die Suche nach Bestätigung oder die Sorge, etwas verpassen zu können, kann eine Social Media-Abhängigkeit entstehen. Psychische Belastungen wie Depressionen, Angstzustände oder Schlafstörungen können die Folge sein.

  • Aufgrund des großen Medienangebots kann Social Media zu einer Abhängigkeit führen.
  • Kinder und Jugendliche verbringen durchschnittlich über drei Stunden täglich auf sozialen Medien.
  • Menschen nutzen Social Media unter anderem, um aus dem Alltag zu flüchten und sich von Problemen abzulenken.
  • Eine übermäßige Beschäftigung mit sozialen Medien kann Depressionen und Angstzustände fördern.
  • Selbstgesetzte Zeitlimits und ein bewusstes Achten auf das Nutzungsverhalten können vor der Entstehung einer Abhängigkeit schützen.
Art Verhaltenssucht
Ursache Neid, Vergleiche mit anderen, geringes Selbstwertgefühl, Angst etwas Verpassen zu können
Symptome Depression, Angstzustände, Schlafprobleme, Entzugserscheinungen
Diagnose Clearing-Gespräch
Therapie Suchtberatung, Psychotherapie

Fast ein Drittel der Weltbevölkerung nutzt täglich Facebook, Instagram & Co. In Österreich gibt es etwa 4,4 Millionen Menschen, die regelmäßig soziale Medien nutzen. Laut einer Studie beträgt die weltweite Prävalenz von Social Media-Sucht 17,42 %. Am meisten Zeit verbringen Kinder und Jugendliche in sozialen Netzwerken. Im Schnitt verbringen jugendliche Mädchen knapp über drei Stunden täglich auf Instagram, TikTok & Co. Bei Burschen sind es etwa zweieinhalb Stunden am Tag. Kinder und Jugendliche, die sehr viel Zeit auf sozialen Plattformen verbringen, zeigen Anzeichen einer schlechteren psychischen Verfassung, wie zum Beispiel Symptome von Angst und Depression.

Es gibt verschiedene Anzeichen, die auf eine Social Media-Abhängigkeit hindeuten können. Die fünf wichtigsten Komponenten sind Salienz, Toleranz, Stimmungsveränderung, Rückfall und Entzug.

  • Salienz: Salienz bedeutet, dass ein Reiz besonders ins Auge sticht und häufiger bewusst wahrgenommen wird. Social Media-Inhalte üben eine starke Anziehungskraft und Wirkung auf die Nutzer:innen aus. Aus diesem Grund verbringen Menschen oft viele Stunden auf Twitter, Facebook & Co., da ihre Aufmerksamkeit immer wieder auf Benachrichtigungen und Likes gerichtet wird.
  • Toleranz: Süchtige Nutzer:innen können sich im Laufe der Zeit an bestimmte Inhalte oder Interaktionen gewöhnen und müssen immer mehr davon konsumieren, um dieselbe Befriedigung zu erlangen. Unter Toleranz versteht man diese – auch bei anderen Süchten auftretende – zunehmende Notwendigkeit, immer mehr Zeit und Aufmerksamkeit für die Nutzung von etwas aufzuwenden, um das gleiche Maß an Stimulation zu erreichen.
  • Stimmungsveränderung: Menschen können sich beim Social Media-Konsum entweder positiv oder negativ fühlen. Einige Nutzer:innen erleben eine vorübergehende Steigerung ihrer Stimmung durch positive Interaktionen oder Bestätigung in sozialen Netzwerken. Andererseits können Vergleiche mit anderen oder die zwanghafte Sorge, Erfahrungen zu verpassen ("Fear of missing out") zu negativen Stimmungsveränderungen führen.
  • Rückfall: Im Kontext von Social Media-Sucht kann ein Rückfall auftreten, wenn eine Person, die versucht hat, ihren Konsum einzuschränken, erneut in alte Gewohnheiten zurückfällt und wieder exzessiv Zeit mit Snapchat, Instagram & Co. verbringt.
  • Entzug: Beim Entzug von sozialen Netzwerken können Symptome wie Angst, Reizbarkeit, Unruhe, Schlafstörungen oder das ständige Verlangen nach der Nutzung sozialer Medien auftreten.

Das Auftreten eines oder mehrerer dieser Faktoren ist ein Indikator für einen problematischen Social Media-Umgang und kann auf eine Sucht hindeuten.

Die hohe Anzahl und Vielfalt an Medienangeboten ist eines der Hauptprobleme. Wenn wir durch den Newsfeed scrollen, sehen wir nur die besten und glücklichsten Momente aus dem Leben anderer Menschen. Außerdem werden meist nur Inhalte ausgespielt, die sehr wahrscheinlich von uns gemocht werden. Das bedeutet, soziale Medien sind oft ein Zufluchtsort und lenken uns von Problemen ab.

Besonders Personen mit geringem Selbstwertgefühl suchen Anerkennung in der vermeintlich perfekten Scheinwelt und kompensieren ihre Angst- und Schamgefühle durch das Posten von Beiträgen. Um mehr Aufmerksamkeit und Bestätigung durch Likes und Kommentare zu bekommen, müssen ständig neue Inhalte produziert werden. Dieses Verhalten aufrechtzuerhalten kann auf Dauer starken Druck erzeugen und zu psychischen Belastungen führen. Infolgedessen können depressive Verstimmungen und Angstzustände beim Ausbleiben von Likes und Bestätigung entstehen.

Social Media-Sucht ist ein relativ neues Phänomen, daher gibt es nur begrenzte Erfahrungen in Bezug auf Diagnosemethoden. Der Social Media Disorder Scale ist ein Instrument, das bei der Diagnose helfen soll. Ein Nachteil ist, dass er sich nur auf neun allgemein gehaltene Fragen stützt. Prinzipiell steht bei Verdacht auf eine Social Media-Abhängigkeit die Frage im Vordergrund, ob die allgemeine Lebensqualität beeinträchtigt ist. Einige Punkte, die bei der Selbsteinschätzung helfen können, sind:

  • Schwierigkeiten, sich vorzustellen, einige Tage ohne Social Media zu verbringen
  • Vernachlässigung wichtiger Aufgaben aufgrund der Nutzung von Social Media, zum Beispiel am Arbeitsplatz
  • höhere Priorität virtueller Kontakte im Vergleich zu realen Kontakten
  • ständiges gedankliches Beschäftigen mit den Apps, auch wenn sie gerade nicht genutzt werden können
  • Veränderungen der Stimmung, wenn bestimmte Social Media-Apps nicht genutzt werden können
  • Nutzung von Social Media trotz bewusster Kenntnis, dass dadurch Stress oder Zeitdruck entsteht
  • geringeres Interesse an anderen Hobbys und Freizeitaktivitäten aufgrund von Social Media
  • Herunterspielen der Zeit, die man mit Social Media verbringt, vor anderen Menschen

Wenn Sie sich oder Bekannte in einigen der oben genannten Punkte wiederfinden, können die folgenden Schritte hilfreich sein, um den Social Media-Konsum einzuschränken. Wichtige Schritte für die Bekämpfung einer Social Media-Sucht sind:

  • offene Kommunikation: Holen Sie Rückmeldungen aus dem Umfeld ein und sprechen Sie offen darüber. Externe Meinungen und offene Gespräche können helfen, die eigene Situation besser zu verstehen.
  • Reflektion: Reflektieren Sie den Nutzen von Social Media und klären Sie Ihre Motive. Fragen Sie sich, ob Sie die Plattformen nutzen, um mit anderen in Kontakt zu bleiben oder aus Angst, etwas zu verpassen. Unterscheiden Sie zwischen gesundem Gebrauch und Abhängigkeit.
  • Push-Nachrichten ausschalten: Schalten Sie Benachrichtigungen (Push-Nachrichten) aus, um sich von ständigen Ablenkungen und dem Drang nach sofortiger Reaktion zu befreien. Dadurch können Sie Ruhe in Ihren Alltag bringen und bewusster mit Social Media umgehen.
  • Apps "verstecken": Verschieben Sie die Social Media-Apps in einen Unterordner auf Ihrem Startbildschirm, um die Versuchung zu reduzieren. Durch das Verstecken der Apps schaffen Sie eine Hürde und können bewusster entscheiden, wann Sie sie öffnen möchten.
  • Zeitlimits setzen: Beobachten Sie Ihr Nutzungsverhalten am Handy und setzen Sie gezielte Limits. Nutzen Sie Tools wie Google Wellbeing für Android oder die Bildschirmzeit-Funktion für iPhones, um einen transparenten Überblick über Ihre Social Media-Nutzung zu erhalten. Sie können Zeitlimits für einzelne Apps festlegen, sodass diese sich automatisch beenden, sobald das Limit erreicht ist.
  • Medienkompetenz stärken: Klären Sie Kinder über die Mechanismen und Risiken von Social Media auf und vermitteln Sie ihnen Medienkompetenz. Sprechen Sie mit ihnen über den kommerziellen Aspekt von Social Media und die Tatsache, dass Inhalte oft nicht der realen Welt entsprechen. Helfen Sie ihnen, ein gesundes Verständnis für den Umgang mit sozialen Medien zu entwickeln.
  • Deinstallation: Als letztes Mittel können Sie erwägen, die Social Media-Apps zu deinstallieren. Dies ist ein drastischer Schritt, kann aber helfen, die Social Media-Sucht zu bekämpfen. Es gibt Ihnen eine Pause von der ständigen Verfügbarkeit und ermöglicht es Ihnen, Ihre Zeit auf andere Aktivitäten zu lenken.
  • Nutzung: Es ist wichtig, selbst zu erkennen, welche Gründe hinter der Social Media Nutzung stehen. Geht es zum Beispiel um das Aufrechterhalten sozialer Beziehungen, die Flucht vor negativen Gefühlen oder Einsamkeit?
  • Inhalt: Man sollte sich selbst mit dem konsumierten Inhalt vertraut machen und potenziell unseriöse Kanäle (z. B. bestimmte Esoterikseiten, Halbwahrheiten, Verschwörungstheorien) kritisch hinterfragen und auf Vertrauenswürdigkeit prüfen. Es ist wichtig, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie soziale Medien funktionieren. Der Algorithmus selektiert und stellt Informationen für die Nutzerschaft bereit. Möglicherweise können bestimmte Inhalte für Sie belastend wirken.
  • Interaktion: Es spielt eine zentrale Rolle, mit wem man kommuniziert und welche Emotionen diese Interaktion auslöst. Wenn Sie das Gefühl haben, Sie müssen sich isolieren oder könnten etwas verpassen, dann sollten Sie den Kontakt zu dieser Person nicht mehr fortführen. Um mögliche negative Auswirkungen zu bewältigen, ist es wichtig, auf die Qualität der Interaktionen zu achten und auch gelegentlich Pausen von sozialen Medien einzulegen.

Wird das eigene Social Media-Verhalten über einen längeren Zeitraum als belastend wahrgenommen, sollten betroffene Personen professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.

In Österreich gibt es mittlerweile viele Beratungs- und Therapiemöglichkeiten, die auch spezielle Suchtberatungseinrichtungen umfassen. Zu Beginn wird in einem Clearing-Gespräch festgestellt, ob eine Verhaltenssucht tatsächlich vorliegt. Wenn ein Unterstützungsbedarf besteht, gibt es verschiedene Möglichkeiten, sich behandeln zu lassen. Es können ambulante oder stationäre therapeutische Angebote genutzt werden. Welche Therapiemethode am besten geeignet ist, hängt von der betroffenen Person ab und wird gemeinsam mit Expert:innen geklärt.

Bei der Behandlung geht es nicht um die Abstinenz, sondern um einen kontrollierten Umgang mit sozialen Netzwerken. Generell kann es aber am Anfang sinnvoll sein, seine Social Media-Aktivitäten stark einzuschränken oder komplett einzustellen. Da bei den meisten Verhaltenssüchten andere Aktivitäten wie Hobbys oder das Pflegen von Freundschaften, vernachlässigt werden, erlernt man mithilfe der Therapie, Freizeitbeschäftigungen wieder mehr Zeit zu schenken.

Für eine erfolgreiche Therapie ist aber in jedem Fall immer die wichtigste Voraussetzung, dass die betroffene Person bereit ist, das eigene Verhalten zu ändern.

Im Anschluss finden Sie einige Kontaktadressen, die Ihnen weiterhelfen:

Familienberatungsstellen
kostenlose Beratung in 400 Familienberatungsstellen in ganz Österreich
www.familienberatung.gv.at/beratungsstellen

Saferinternet.at
www.saferinternet.at

147 – Rat auf Draht
Notruf für Kinder, Jugendliche und deren Bezugspersonen – anonym, kostenlos, rund um die Uhr, telefonisch oder online
www.rataufdraht.at

Anton Proksch Institut
Ambulatorium Wiedner Hauptstraße
www.api.or.at

Therapie und Beratungsstelle für Mediensucht der Sigmund Freud Privatuniversität
Ambulante Angebote an drei Standorten in Wien
www.ambulanz.sfu.ac.at

Grüner Kreis
Ambulantes Beratungs- und Betreuungszentrum Wien
www.gruenerkreis.at

Verein Dialog
Individuelle Suchthilfe
www.dialog-on.at


Autor:in:
Redaktionelle Bearbeitung:
Medizinisches Review:
Erstellt am:

17. Juli 2023

Stand der medizinischen Information:

17. Juli 2023

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