Multiple Sklerose (MS)

Arzt mit Tafel mit Diagnose "MS" in der Hand
MS ist vielschichtig und wird deshalb auch die "Krankheit der tausend Gesichter" genannt.
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Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung von Gehirn und Rückenmark (zentrales Nervensystem), die durch eine Fehlreaktion des Immunsystems ausgelöst wird.

Medizinische Expertise

Michael Guger

OA Dr. Michael Guger

Facharzt für Neurologie
Stadtplatz 16, 4230 Pregarten
www.dr-guger.at
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Durch entzündliche Prozesse kommt es zu einer Schädigung der Nervenfasern, die für die Signalübertragung zuständig sind. Dadurch können Symptome wie Gefühlsverlust, Kribbeln, Störungen des Sehens, Lähmungserscheinungen und erhebliche Schwierigkeiten beim Gehen auftreten.

  • In Österreich sind rund 14.000 Menschen an MS erkrankt. 
  • Sie wird am häufigsten im Alter zwischen dem 20. und dem 40. Lebensjahr diagnostiziert. Typisch für die Erkrankung: Sie ist nicht heilbar, tritt meist in Schüben auf. 
  • Mit Hilfe medikamentöser Therapie lässt sich der Krankheitsverlauf deutlich verlangsamen und stabilisieren. 
  • Wichtig ist es, mit der Behandlung frühzeitig zu beginnen, um Erkrankungsschübe zu bremsen und Behinderungen vorzubeugen.
Art Erkrankung des zentralen Nervensystems
Ursachen Autoimmunerkrankung, das körpereigene Immunsystem wendet sich gegen Bestandteile des zentralen Nervensystems
Symptome Vielfältig, unter anderem Sehstörungen, Bewegungsstörungen, Gefühlsstörungen, Kognitive Störungen, Sprachstörungen, Fatigue-Syndrom
Diagnose Anamnese, neurologische Untersuchung, MRT, Liquorpunktion, evozierte Potentiale, evtl. Blutuntersuchungen
Therapie Setzt auf drei Ebenen an: Therapie von akuten Schüben, Langzeittherapie, Therapie der Symptome

Laut den Informationen der Multiplen Sklerose Gesellschaft Wien sind in Österreich rund 14.000 Menschen von der Erkrankung betroffen. Multiple Sklerose wird am häufigsten im Alter zwischen dem 20. und dem 40. Lebensjahr festgestellt, sie ist die häufigste Erkrankung des zentralen Nervensystems bei jungen Erwachsenen. 

Frauen sind fast drei Mal so häufig betroffen wie Männer. Die Erkrankung kann – wenn auch seltener (bei bis zu 5 %) – im Kindes- bzw. Jugendalter beginnen. Noch seltener treten Neuerkrankungen bei älteren Menschen auf.

Bei Multipler Sklerose handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung. 
Über das Rückenmark werden Nervensignale vom Körper gesendet bzw. empfangen. Diese Botschaften werden von Nervenfasern geleitet. "Isoliert" werden die Nervenfasern von einer Schutzschicht, die aus dem Stoff Myelin besteht. 

Aus zum Teil noch nicht geklärten Gründen wendet sich das körpereigene Immunsystem gegen Bestandteile des zentralen Nervensystems. Es wird aber ein Zusammenspiel genetischer Grundlagen mit Lebensstil- und Umweltfaktoren vermutet. Eine Rolle dabei spielen dürften durchgemachte Infektionen (z.B. mit Epstein-Barr-Virus), ein zu niedriger Vitamin-D-Spiegel bzw. möglicherweise das Ausmaß von Sonnenexposition.

Durch entzündliche Prozesse im Bereich des Myelins kommt es zu Fehlern in der Signalübertragung der Nervenimpulse. Die Nervenleitung verläuft somit langsamer. Sekundär werden zudem die Nervenfasern selbst angegriffen.

Bei Familienmitgliedern tritt MS etwas häufiger auf, ist jedoch keine Erbkrankheit im engeren Sinn. Forschungen deuten darauf hin, dass das Risiko für die Entwicklung einer Erkrankung nicht von einem einzelnen Gen gesteuert wird, sondern durch eine Kombination von verschiedenen Genen und Genvarianten.

Welche Symptome bei Multipler Sklerose auftreten, hängt davon ab, welcher Teil des zentralen Nervensystems betroffen ist. 

Zu Beginn der Erkrankung machen sich oft Beschwerden bemerkbar wie Gefühlsstörungen, Verschlechterung der Sehschärfe, Schwindel, Gleichgewichtsstörungen, Stolpern, Lähmungen und rasche körperliche und geistige Ermüdbarkeit. 

Zu den wichtigsten Symptomen der Multiplen Sklerose zählen:

  • Sehstörungen: Die Sehschärfe verschlechtert sich. Oft werden Doppelbilder hervorgerufen, die verschwommenes Sehen oder Schleiersehen verursachen.
  • Bewegungsstörungen: Schwere- und Schwächegefühle der Gliedmaßen (Arme und Beine) bzw. Lähmungen, Zittern beim Greifen nach Gegenständen, Gangunsicherheit
  • Gefühlsstörungen: Häufige Beschwerden sind Taubheit und Kribbeln. Dies kann sich vielfältig äußern z.B. als Ameisenlaufen oder als brennende Missempfindungen.
  • Kognitive Störungen: verminderte Aufmerksamkeit, Beeinträchtigungen des Kurzzeitgedächtnisses und Konzentrationsverlust
  • Sprachstörungen: verlangsamtes Sprechen, undeutliches Sprechen, Veränderungen im Sprachrhythmus sowie Schluckstörungen (Dysphagie)
  • Fatigue-Syndrom: Oft tritt auch das sogenannte Fatigue-Syndrom auf. Betroffene werden rasch ungewöhnlich stark müde und sind dadurch in ihrem Tagesablauf stark beeinträchtigt.
  • Blasenstörungen: Es kann zu sehr häufigem oder plötzlichem Harndrang oder Harninkontinenz kommen.
  • Darmstörungen: Es kann vor allem zu Verstopfung, seltener auch Stuhlinkontinenz kommen.
  • Störungen der Sexualität: z.B. Verringerung der Libido, Orgasmusprobleme
    Verschlechterung bei Wärme: Typisch ist, dass sich die Symptome sehr oft durch Wärme (z.B. nach einem heißen Vollbad oder Fieber) verschlechtern.

Wenn diese Beschwerden auftreten, sollte möglichst rasch eine Neurolog:in abklären und mit einer passenden Therapie beginnen.

Während einige Symptome gut erkennbar sind, bleiben andere wie Müdigkeit, veränderte Sensibilität, Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme für Andere oft unbemerkt. Es kann schwierig sein, diese Symptome und die Probleme, die sie verursachen, den Angehörigen zu beschreiben. Jedoch beeinträchtigen diese Ausprägungen der MS die Lebensqualität, die berufliche Situation und soziale Aktivitäten stark. Menschen mit MS treffen dadurch häufig auf Unverständnis in ihrer Umgebung.

Multiple Sklerose verläuft von Patient:in zu Patient:in unterschiedlich, was sich vor allem dadurch erklären lässt, dass bei jeder Patient:in andere Stellen im zentralen Nervensystem betroffen sind. Zudem sind die Schädigungen unterschiedlich ausgeprägt. 

Man unterscheidet schubförmige und progrediente (fortschreitende) Formen der Multiplen Sklerose:

Schubförmiger Erkrankungsverlauf: Bis zu 90 % der Betroffenen weisen zu Beginn der Erkrankung einen schubförmigen Verlauf auf. Schubförmig bedeutet, dass Entzündungsherde innerhalb von Stunden oder Tagen aktiv werden und körperliche Störungen bzw. Ausfälle auslösen bzw. verstärken. Dieser Schub klingt nach einiger Zeit wieder ab. Zwischen den Erkrankungsphasen ist der Betroffene ganz oder nahezu ohne Symptome. Im Durchschnitt kommt es unbehandelt etwa zu einem Schub pro Jahr oder seltener.
Progredienter Erkrankungsverlauf: Nach vielen Jahren mit Schüben verschwinden diese oft, es kann dann eine langsam fortschreitende Verschlechterung einsetzen (sekundär chronisch progredienter Verlauf). Zusätzlich können „aufgesetzte“ Schübe auftreten. Beim primär chronisch progredientem Verlauf nimmt die Erkrankung von Anfang an einen chronischen Verlauf (bei etwa 10-15% der Betroffenen). Schübe treten in diesem Fall nicht auf.

Multiple Sklerose zu haben bedeutet nicht zwangsläufig irgendwann im Rollstuhl zu sitzen. Die Gehfähigkeit kann bei der Mehrheit der Betroffenen lange oder für immer erhalten bleiben.

Die anfänglichen Symptome können sehr vielfältig sein. Zur genauen Abklärung und Diagnose von MS ist eine gründliche klinische Untersuchung wichtig. 

  • Anamnese: Es erfolgt eine genaue Erhebung der Krankengeschichte. Oft lassen sich frühere unklare Symptome, die mittlerweile wieder verschwunden sind, rückwirkend als Anzeichen einer MS feststellen. 
  • MRT: Bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomographie (MRT) können die Entzündungsherde im Rückenmark und Gehirn lokalisieren.
  • Liquorpunktion: Die Untersuchung der Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit (Liquorpunktion) dient dazu, bestimmte Eiweißkörper nachzuweisen, die ein Hinweis auf Multiple Sklerose sein können.
  • Evozierte Potentiale: Bei Verdacht auf MS kann eine Neurolog:in eine Untersuchung durch visuell und somatosensorisch evozierte Potentiale (VEP bzw. SSEP) durchführen lassen. Es wird dabei überprüft, ob die Leitungsgeschwindigkeit eines Nervs durch eine mögliche Entmarkung (Verletzung der Myelinschicht) verringert ist. Dafür werden kleine Elektroden am Kopf angebracht, mit denen die Hirnströme überwacht werden. So können Reaktionen auf visuelle und sensorische Reize festgestellt werden.
  • Blutuntersuchungen: Ergänzend können Blutuntersuchungen im Labor durchgeführt werden, um andere Erkrankungen auszuschließen. 

Mit Hilfe verschiedener Therapieansätze lässt sich in vielen Fällen der Verlauf der MS positiv beeinflussen und die Anzahl sowie die Stärke der Schübe vermindern.

Die medikamentöse Behandlung der Multiplen Sklerose setzt auf drei Ebenen an:

Therapie von akuten MS-Schüben: Hochdosierte Kortison-Infusionen sind das Mittel der Wahl, um die Beschwerden akuter Schübe zu mildern. Sie werden intravenös für drei bis fünf Tage verabreicht, wirken immunsuppressiv und verbessern die Barrierefunktion der Blut-Hirn-Schranke. Leidet der Betroffen:e unter schweren Schüben können mittels Plasmapherese oder Immunadsorption („Blutwäsche“) aus dem Blut bestimmte Bestandteile entfernt werden, die zur Schädigung von Myelin beitragen.
Langzeittherapie: Man spricht dabei auch von einer langfristigen krankheitsmodifizierenden ("immunmodulierenden") Basistherapie. Diese Langzeittherapie soll in das Immunsystem eingreifen und die Entzündung so weit in Schach halten, dass es zu keiner weiteren Schädigung der Nervenfasern kommt. Das Fortschreiten der Erkrankung soll gebremst und Erkrankungsschübe minimiert werden. Je nach Beschwerdebild kommen bei der schubförmigen MS etwa 20 Präparate zum Einsatz, die in unterschiedliche Wirkstärkeklassen eingeteilt und nach Risiko-Nutzen-Profil angewendet werden.
Therapie der Symptome: Sie ist besonders bei progredienten Krankheitsverläufen wichtig, denn bei einer langsam fortschreitenden Verschlechterung von MS treten besonders häufig Symptome wie das Fatigue-Syndrom (starke Müdigkeit), spastische Symptome (Muskelverkrampfungen) und dadurch verursachte Schmerzen, Blasenfunktionsstörungen, Sprech- und Schluckstörungen sowie Depressionen auf. Mit Hilfe von Medikamenten sowie einer Reihe von Rehabilitationsmaßnahmen (z.B. Psychotherapie, Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie) können die Selbständigkeit und die Lebensqualität entschieden erhöht werden.

 

  • Medikamente einnehmen: Die medikamentöse Therapie sollte über einen langen Zeitraum gemäß den Anwendungsempfehlungen durchgeführt werden. Ein positiver Therapieeffekt ist nicht immer "direkt sichtbar" und gerade im Frühstadium sind die Abstände zwischen den Schüben noch lang. Trotzdem ist es sehr wichtig, dass MS-Patient:innen die Therapie fortsetzen. Denn eigenständiges Absetzen oder unregelmäßige Einnahme können das Fortschreiten der Multiplen Sklerose fördern.
  • Bewegung: MS-Patient:innen neigen aufgrund ihrer Erkrankung verstärkt dazu, Muskelmasse und damit Muskelkraft, bevorzugt in den Beinen, abzubauen. Daher ist regelmäßige Bewegungstherapie in jedem Stadium der Erkrankung besonders wichtig, um mobil zu bleiben. Durch individuelle Bewegungsprogramme, Bewegungstherapie und Physiotherapie können Erkrankte den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen und einzelne Symptome wie Fatigue, Störungen der Feinmotorik und der Koordination oder psychische Beeinträchtigungen sogar verbessern.
  • Ernährung: Eine abwechslungsreiche und ausgewogene Lebensmittelwahl beeinflusst das Wohlbefinden und die Lebensqualität positiv. Sie kann als integraler Bestandteil der Therapie bei Multipler Sklerose betrachtet werden. Eine spezielle Diät für Menschen mit Multipler Sklerose gibt es aber nicht.
  • Vitamin-D-Mangel vorbeugen: Da ein Mangel an Vitamin-D als möglicher Risikofaktor für die Entstehung von Multipler Sklerose gesehen wird, sollte darauf geachtet werden, einem Mangel vorzubeugen. 
  • Reha & Kur: Ein wichtiger Pfeiler in der Therapie und Langzeitvorsorge bei Multipler Sklerose ist die Medizinische Rehabilitation. Durch spezialisierte Reha-Einrichtungen zur Neurorehabilitation kann gezielt auf die medizinisch-therapeutischen Bedürfnisse hin gearbeitet werden.
  • Stress: Lange wurde angenommen, dass stark belastende Lebenssituationen MS-Schübe auslösen können. Forschungsergebnisse dazu sind jedoch widersprüchlich. Dennoch ist es ratsam, in schwierigen Situationen frühzeitig Unterstützung zu suchen. Entspannungstechniken werden von MS-Betroffenen häufig positiv wahrgenommen.

Autor:in:
Redaktionelle Bearbeitung:
Medizinisches Review:
Zuletzt aktualisiert:

22. April 2024

Erstellt am:

9. Dezember 2013

Stand der medizinischen Information:

22. April 2024


ICD-Codes:
  • G35
  • H46

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