Inkontinenz (Harninkontinenz/Blasenschwäche)

Matratze auf der Flüssigkeit ausgelaufen ist.
850.000 Österreicher:innen sind von einer Art von Inkontinenz betroffen.
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Als Inkontinenz wird unfreiwilliger Harnverlust bezeichnet. Betroffene haben meist einen hohen Leidensdruck. Harninkontinenz ist ein weit verbreitetes Problem, das aber immer noch tabuisiert wird.

Medizinische Expertise

Dara S. Lazar

Dr.in Dara S. Lazar

Fachärztin für Urologie
Heiligenstädter Straße 46-48, 1190 Wien
www.urologin-wien.at
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Österreichweit sind etwa 850.000 Menschen davon betroffen, jüngere Frauen leiden vier Mal häufiger als Männer. Bei älteren Menschen ab 80 Jahren ist die Verteilung ausgewogen. Bei der Harninkontinenz gibt es verschiedene Formen, die häufigste ist die sogenannte Stress- oder Belastungsinkontinenz. Die Harninkontinenz-Ursachen sind vielfältig. Die Bandbreite an Therapien richtet sich nach der Art der Harninkontinenz und reicht von Beckenbodentraining bis hin zu medikamentöser und operativer Therapie.

  • Inkontinenz bezeichnet den unkontrollierten Verlust der Harn- oder Stuhlkontrolle.
  • Die Ursachen sind vielfältig, darunter altersbedingte Veränderungen, Schwangerschaft, neurologische Erkrankungen und mehr.
  • Frauen sind etwa 4 bis 5 Mal häufiger betroffen als Männer.
  • Die Diagnose erfolgt durch medizinische Untersuchungen und Tests.
  • Die Behandlung umfasst Lebensstiländerungen, Beckenbodentraining, Medikamente und möglicherweise chirurgische Eingriffe.

Video: Wenn plötzlich nichts mehr hält: Inkontinenz, was nun?

Inkontinenz ist immer noch ein Tabuthema, obwohl viele Menschen davon betroffen sind. Welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt und was man als betroffene Person selbst tun kann, erklären OA Dr. Michael Rutkowski und Adelheid Anzinger, DKGP. (Webinar, 3.10.2022)

850.000 Österreicher:innen sind von einer Art von Inkontinenz betroffen, Frauen häufiger als Männer. 60.000 Kinder erleben regelmäßig unfreiwilligen Harnverlust (Enuresis nocturna) in der Nacht.

Man unterscheidet vier Arten von Harninkontinenz, die auch kombiniert auftreten können:

Belastungsinkontinenz: Häufigste Form der Harninkontinenz, bei der die Harnröhre zu schwach ist, um dem Druck der Blase standzuhalten.
Dranginkontinenz: Ihre Ursache liegt in einer Überfunktion des Harn-Blasenmuskels. Das ist jener Muskel, der aktiviert wird, wenn wir den Harn aus der Blase ausscheiden wollen. Zieht sich dieser Muskel zusammen, verspüren die Betroffenen einen starken Harndrang und es kann zu unwillkürlichem Harnverlust kommen, noch ehe man die Toilette erreicht hat.
Überlaufinkontinenz: Chronische Harnretention mit Inkontinenz. Das Typische an der Überlaufinkontinenz: Die Blase ist voll und entleert sich aber nur "tröpfchenweise", d. h. der Betroffen:e kann trotz Harndrangs die Blase nicht entleeren.)
Neurologische Blasenentleerungsstörungen: Diese können verschiedene Ursachen haben, wie Diabetes mellitus, Schlaganfall, Querschnittlähmung oder Multiple Sklerose, etc.

 

Unsere Harnblase hat im Wesentlichen zwei Aufgaben:

  • Sie speichert den Harn.
  • Sie entleert den Harn während der Entleerungsphase.

Die Harnblase (medizinisch "Detrusor") ist ein Hohlmuskel, der mit einer speziellen Schleimhaut ausgekleidet ist. Der Schließmuskel (medizinisch "Sphinkter") umgibt den Blasenausgang und garantiert so, dass ein Entleeren nur dann möglich ist, wenn wir das auch möchten.

In der Speicherphase füllt sich die Harnblase mit Urin. Bei einer erfolgreichen Blasenentleerung zieht sich der Hohlmuskel zusammen und der Schließmuskel öffnet sich gleichzeitig. Der Speichervorgang erfolgt ohne großen Druck, die Blase bleibt entspannt. Funktioniert aber der Schließmuskel nicht mehr oder wird die Blase überaktiv, kommt es zu ungewolltem Harnverlust, man spricht von "Inkontinenz".

Neben einer Überaktivität der Blase oder einem nicht intakten Schließmuskel kann auch die Schaltzentrale im Gehirn "schuld" daran sein, wenn eine Inkontinenz auftritt. Zwischen Gehirn und Harnblase besteht eine Nervenverbindung über das Rückenmark. Erreicht die Flüssigkeitsmenge in der Blase etwa 300 ml, schickt die Blase an das Gehirn über Nervenbahnen Signale, die darauf hinweisen, dass die Blase zu entleeren ist.

Im Falle einer gesunden Funktion von Schaltzentrale und Harnblase kann man den Harndrang:

  • kontrollieren
  • erkennen
  • steuern
  • die Blase willkürlich entleeren
  • den Drang auch eine Zeitlang unterdrücken

Sind jedoch Schaltzentrale oder Nervenbahnen aufgrund von neurologischen Erkrankungen defekt, kann es sein, dass auch die Signale zum Entleeren bzw. Nicht-Entleeren nicht mehr funktionieren.

Die Belastungsinkontinenz und die Dranginkontinenz sind die am häufigsten auftretenden Arten der Inkontinenz. Eine Kombination aus Belastungsinkontinenz und Dranginkontinenz wird als Mischinkontinenz bezeichnet.

Harninkontinenz bei Frauen

Dass Frauen 4 bis 5 Mal häufiger an Inkontinenz leiden als Männer, liegt in ihrer Natur: Schwangerschaft, Geburten, eine mit den Jahren erschlaffende Muskulatur des Beckenbodens und hormonelle Faktoren sind die häufigsten Ursachen.

Die Belastungsinkontinenz, früher auch als "Stress-Inkontinenz" bezeichnet, tritt beim Husten, Niesen, Lachen oder Heben schwerer Lasten auf. Je älter die Frau, desto eher nimmt in der Folge auch die Dranginkontinenz zu. Mediziner:innen sprechen von dieser Form, wenn die Blase überaktiv ist.

Inkontinenz bei Männern

Von Belastungs- und Dranginkontinenz sind vor allem Männer betroffen, die an einer Verletzung des Schließmuskels leiden oder die an der Prostata operiert wurden. In diesem Fall kann eine Schließmuskelschwäche, z. B. nach einer Prostatakrebs-Operation, zu einer Belastungsinkontinenz führen. Unmittelbar nach der Operation ist das Leiden stark manifest, klingt aber in der Regel innerhalb eines Jahres ab.

Etwa 10 % der Betroffenen leiden auch nach einem Jahr noch an Inkontinenz, was einen erheblichen Leidensdruck verursacht, vor allem wenn es sich um jüngere Männer handelt. Generell kann eine vergrößerte Prostata Beschwerden hervorrufen, und Betroffene leiden häufig an einer überaktiven Blase und auch Restharnbildung.

Ältere Menschen

Die häufigste Form bei älteren Menschen ist die Drang-Inkontinenz, die hauptsächlich drei Ursachengruppen aufweist:

  • Die Schaltzentrale im Gehirn funktioniert nicht mehr so wie früher.
  • Krankhafte Prozesse im unteren Harntrakt, wie etwa chronische Blasenentzündung, Blasensteine, Tumore oder eine vergrößerte Prostata.
  • Die Alterung der Blase kann zu einer Drang-Inkontinenz führen. Diese Art der Inkontinenz findet sich bei Frauen und Männern im höheren Alter im gleichen Maße.

Etwa 10 % aller Menschen in Altenheimen leiden an einer Überlauf-Inkontinenz, welche sofort ärztlich behandelt werden muss. Ursache dafür ist eine schwache Blase oder ein erhöhter Widerstand am Ausgang der Harnblase. So kann etwa eine vergrößerte Prostata am Ausgang der Blase die Harnröhre beeinträchtigen.

Inkontinenz im Schlaf

Eine Sonderform der Inkontinenz ist die Enuresis nocturna. Das sind unfreiwillige Blasenentleerungen während des Schlafes, von der meist Kinder ab dem 5. Lebensjahr betroffen sind, aber auch 1 % der Erwachsenen. In Österreich sind 60.000 Kinder – Buben häufiger – betroffen. Diese Form des unfreiwilligen Harnverlustes tritt aufgrund einer Reifungsstörung der noch nicht ganz ausgereiften Nervenstrukturen bei fast 20 % aller Kinder auf. Bei Erwachsenen kann diese Reifestörung genetisch bedingt sein.

Gründe für die Enuresis können sein:

  • ein noch nicht ausgereifter Ausschüttungsrhythmus des antidiuretischen Hormons (es steuert tageszeitabhängig die Konzentrationsfähigkeit des Harns in den Nieren, um das Durchschlafen zu ermöglichen)
  • psychische Faktoren
  • auch genetische Faktoren oder ein nicht ausgereiftes Weckzentrum stehen als Verursacher im Verdacht

In einem Arzt-Patienten-Gespräch fragt die Ärzt:in, seit wann, wie oft und wie stark die Inkontinenz besteht, ebenso nach Erkrankungen und Operationen und über die derzeitige Einnahme von Medikamenten. Einige Erkrankungen und Operationen haben Auswirkungen auf die Blasen- oder Darmfunktion.

Es ist für die Ärzt:in sehr wichtig, von dieser Vorgeschichte zu erfahren. Als Basis für die Befragung kann auch eine Dokumentation dienen, das sogenannte Miktionsprotokoll. Mit Hilfe dieser Aufzeichnungen erhält die Ärzt:in Informationen über die Blasenentleerungsgewohnheiten und die Blasenfüllmengen. Bei Frauen umfasst die Diagnostik gegebenenfalls auch eine gynäkologische Untersuchung. Die ersten Schritte in der Diagnostik sind:

  • eine Untersuchung des Unterbauchs
  • ein Harnbefund durch das Labor
  • Restharnbestimmung (sie erfolgt schmerzfrei durch Ultraschall)

Erst bei verdächtigen Erstbefunden sind evtl. eine Blasenspiegelung oder eine Blasendruckmessung erforderlich.

Beim ersten Tropfen unfreiwilligen Harnverlustes sollte man eine professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Werden die Symptome nämlich frühzeitig behandelt, können sie oft schon sehr rasch zum Abklingen gebracht werden.

  • Bei Dranginkontinenz: ist im ersten Schritt eine Beseitigung von Risikofaktoren empfohlen. Eine Reihe von Medikamenten ermöglicht es auch, dass der Drang steuerbarer und kontrollierbarer wird. Medikamente sollten aber nie allein verabreicht werden, sondern immer in Kombination mit einem Blasentraining. Dabei werden neue Verhaltensmuster trainiert: Tritt überfallsartig Harndrang auf, so sollte der Betroffene nicht zur Toilette eilen, sondern versuchen, durch Konzentration und Anspannen des Beckenbodens den Drang zu überwinden. Die Welle des Dranges ebbt normalerweise nach etwa 20 Sekunden wieder ab. Erst dann sollte man zur Toilette gehen.
  • Gegen Belastungsinkontinenz: empfiehlt sich ein Beckenbodentraining. Wichtig ist es, zu lernen, den richtigen Muskel zur richtigen Zeit anzuspannen. Darüber hinaus gibt es auch Medikamente, die den Schließmuskel stärken. Eine weitere Therapie-Option ist eine Operation, bei der ein Kunststoffband unter die Harnröhre gelegt wird, um deren Schwäche zu beseitigen. Stammzellen bieten künftig neue Therapie-Ansätze, allerdings nur für Betroffene mit Belastungsinkontinenz infolge einer Schließmuskelschwäche.
  • Die Therapie für Überlauf-Inkontinenz: richtet sich nach der Ursache der Erkrankung. Hier muss die Spezialist:in in jedem Fall individuell vorgehen und die Ursachen abklären.

Biofeedback ist vor allem in Kombination mit Beckenbodentraining effizient. Biofeedback misst körperliche Veränderungen einer trainierenden Person und gibt diese Informationen als Feedback zurück. Bei Harninkontinenz hat sich die Methode als hilfreich erwiesen.

Elektrostimulation wird meist bei Belastungs-, Drang- und Mischinkontinenz angewendet. Dabei wird der Beckenboden durch Elektrostimulation in Kontraktionen versetzt. Studien zufolge ist diese Methode so effektiv wie Beckenbodentraining.

Behandlung der Enuresis nocturna

Zunächst sollte das Bewusstsein geschärft werden, dass es sich bei Kindern um ein soziales, weniger um ein medizinisches Problem, mit unterschiedlich großem Leidensdruck handelt. Wichtig ist es, nach Absprache mit der Ärzt:in ein Miktionsprotokoll zu führen. Darin werden unter anderem Gewohnheiten, Harnmengen, Entleerungszeiten etc. aufgezeichnet, bzw. wird dem Kind Wesentliches über Trinkgewohnheiten und Toilettengänge vermittelt.

Medikamentöse Behandlung: Erst nach erfolglosen Maßnahmen können weitere Schritte hilfreich sein, wie etwa eine medikamentöse Behandlung oder eine Verhaltenstherapie. Auch eine Alarmtherapie ist eine therapeutische Möglichkeit, bei der die Kinder beim Einnässen aufgeweckt werden, um so den Miktionsdrang bewusst zu verspüren und zu steuern. Die medikamentöse Behandlung sieht entweder Hormongaben vor, die dazu führen, dass der Körper normale Nachtharnmengen produziert, und/oder pharmazeutische Substanzen (Anticholinergika), sodass die Blasenkapazität erhöht wird. Die Medikamentengabe erfolgt so lange, in der Regel etwa sechs Monate, bis der kindliche Körper das entsprechende Hormon selbst in ausreichender Menge produzieren kann.

Medikamente

Die wichtigsten Medikamente zur Behandlung von Inkontinenz:

Antimuskarinika, auch Anticholinergika genannt, wirken auf die Acetylcholinrezeptoren ein und blockieren den körpereigenen Neurotransmitter Acetylcholin, welcher unwillkürliche Muskelkontraktionen im vegetativen Bereich verursacht. Die Anticholinergika Darifenacin, Fesoterodin, Oxybutynin, Propiverin, Solifenacin, Tolterodin und Trospiumchlorid werden bei überaktiver Blase empfohlen. Allerdings steht Oxybutynin im Verdacht, kognitive Dysfunktionen zu begünstigen. Für meist ältere Betroffene mit mentalen Einschränkungen ist daher Trospiumchlorid besser geeignet. Auch Botulinum-Toxin kann eine Dranginkontinenz bessern.

Duloxetin (ein Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer) ist hilfreich bei Belastungsinkontinenz. Es verringert den Harndrang und steigert die Nervenaktivität im Harnblasenbereich sowie die Kontraktionskraft des Schließmuskels. Eine neue Therapieoption ist die periphere Tibialis-Nerven-Stimulation (pTNS). Sie aktiviert Nervenareale, die die Harnentleerung steuern, und wird laut EAU in erster Linie für 50- bis 65-Jährige empfohlen.

Beckenbodentraining forcieren & Risikofaktoren vermeiden

Bei Frauen empfiehlt sich ein Beckenbodentraining während der Schwangerschaft und nach der Geburt, jedoch nur unter fachkundiger Anleitung von Physiotherapeut:innen. Generell ist geistige und körperliche Fitness aber eine ausgezeichnete Prophylaxe, die es älteren Menschen ermöglicht, kontinent zu bleiben. Wichtig ist es auch, Risikofaktoren zu beseitigen wie 

Hygieneprodukte für mehr Sicherheit

Neben unterschiedlichen Therapieverfahren helfen Hygieneprodukte, wie Einlagen oder Inkontinenzhosen, dem Betroffenen bei der Bewältigung ihres Alltags. Diese Hilfsmittel gibt es inzwischen in vielen Ausführungen und speziell für die weibliche und männliche Anatomie. Sie sind in verschiedenen Größen und Saugstärken verfügbar, bieten einen hohen Tragekomfort, sind geruchsneutral und vor allem diskret.

Tipp: Eine Beratung im Reformhaus hilft, das individuell passende Produkt zu finden. Falls die behandelnde Ärzt:in entsprechende Hygieneprodukte verordnet, übernimmt die Krankenkasse einen Großteil der Kosten. Wie für alle ständig benötigten Heilbehelfe sind vom Versicherten 10 % Selbstbehalt zu bezahlen.

Genug trinken

Definitiv keine gute Idee ist es, weniger zu trinken. Die Überlegung, dass man seltener auf die Toilette muss, indem man weniger Flüssigkeit zu sich nimmt, geht nicht auf. Wenn der Körper zu wenig Wasser erhält, ist der Urin stark konzentriert und reizt die Niere. In der Folge muss der Betroffen:e sogar noch öfter auf die Toilette. Mindestens 1,5 bis 2 Liter, am besten Wasser, sollte jeder Mensch am Tag trinken. Ansonsten können sich unter anderem Kopfschmerzen, Verdauungsprobleme und Sehstörungen einstellen.


Autor:in:
Redaktionelle Bearbeitung:
Medizinisches Review:
Zuletzt aktualisiert:

18. März 2024

Erstellt am:

19. Dezember 2013

Stand der medizinischen Information:

9. März 2021


ICD-Codes:
  • R32
  • N39

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