Familientherapie (Systemische Therapie)

Mutter und Tochter bei der Familientherapie
Familientherapie kann bei Konflikten, Erziehungsproblemen, Scheidungen oder anderen Verlusten hilfreich sein.
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Die Familientherapie setzt sich nicht nur mit einer Einzelperson auseinander, sondern mit dem ganzen "Familiensystem". Systemische Therapeuten verstehen die Entstehung von "Problemen" und "Auswirkungen“ u. a. als Ergebnis davon, wie Familienmitglieder miteinander umgehen (Interaktionen). 

Medizinische Expertise

Kevin J. Hall

Kevin J. Hall, Bsc (hons), MSc

Psychotherapeut (systemische Familientherapie), Professional Coach des Österreichischen Coaching Dachverbandes
Straßgschwandtnerstraße 4/1, 1140 Wien
www.psychotherapiewien.co.at
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Magersucht wird zum Beispiel als Ausdruck der familiären Interaktion in Bezug auf Themen wie Einfluss, Macht und Leistung verstanden. Es ist daher üblich mehre Familienmitglieder in eine Familientherapie einzuladen, damit sie ihre Sicht auf die familiären Probleme (z.B. Kommunikationsprobleme, Scheidung, Tod eines Familienmitglieds) schildern können. Dabei kommen unterschiedlichste Methoden zum Einsatz wie etwa Fragetechniken, das Deuten von Situationen oder das Darstellen des Familiensystems anhand von Hilfsmitteln wie dem "Familienbrett" bzw. der "Familienskulptur". Familientherapie lässt sich als Kurzzeittherapie anwenden.

Familien, die vor folgende Probleme gestellt werden, kann die Familientherapie in erster Linie helfen bei:

  • Konflikten und Kommunikationsproblemen
  • psychischen Störungen bei einem Familienmitglied: z.B. Essstörungen (Anorexie, Bulimie), Depressionen, Sucht (Drogensucht, Alkoholsucht, Kaufsucht, Medikamentensucht), Verhaltensauffälligkeiten, Zwänge, Angststörungen, psychosomatische Erkrankungen
  • Erziehungsproblemen
  • Scheidung
  • Tod eines Familienmitglieds
  • körperlicher Erkrankung eines Familienmitglieds
  • Jobverlust eines Familienmitglieds
  • familiärer Gewalt

Ein Familientherapeut geht davon aus, dass die Probleme eines Familienmitglieds durch Verhalten und Kommunikation innerhalb der Familie hervorgerufen bzw. durch diese aufrechterhalten werden. Deswegen wird bei der Familientherapie nicht nur das Familienmitglied behandelt, das aktuell mit Herausforderungen wie z.B. Schulangst zu kämpfen hat, sondern auch weitere Familienmitglieder.

In der Familientherapie definieren Sie zuerst mit dem Therapeuten und Ihrer Familie ein gemeinsames Ziel, das Sie erreichen wollen (z.B. besser miteinander zu kommunizieren, weniger zu streiten...). Um dieses zu erreichen, können verschiedene Methoden angewendet werden. Dazu zählen unter anderem:

  • Fragetechniken: Der Therapeut setzt verschiedene Fragetechniken ein, um neue Perspektiven aufzuzeigen und mehr Mitgefühl zwischen den Familienmitgliedern zu schaffen. Dazu gehören z.B. Fragen wie: "Wer hat das Problem als Erster entdeckt?" oder "Was denkt die Nachbarin, wenn Sie sich so streiten?"
  • Genogramm: Genogramme werden verwendet, damit der Therapeut, aber auch Sie selbst die Familiengeschichte besser verstehen können. Dabei werden die Namen, Geburtsdaten und Verwandtschaftsverhältnisse aufgezeichnet und für die Familie wichtige Ereignisse (z.B. Heirat, Scheidung, Todesfälle) eingetragen.
  • Familienskulptur: Bei der Familienskulptur ist eine Person der "Bildhauer", der die Familienmitglieder im Raum in einer körperlichen Pose aufstellt. Der Therapeut kann Sie auch darum bitten, die Positionen in drei verschiedenen Zeitfenstern darzustellen – wie es in der Vergangenheit war, in der Gegenwart ist und in der Zukunft sein soll. Die Familienmitglieder können nacheinander "Bildhauer" sein. Oft ist es für die Betroffenen leichter, ihre Gefühle so darzustellen als durch Worte zu kommunizieren.
  • Familienbrett: Das Familienbrett funktioniert ähnlich wie die Familienskulptur, nur dass statt den Familienmitgliedern Holzfiguren auf einem Brett angeordnet werden.
  • Umdeuten: Bei dieser Technik (auch "Reframing" genannt) wird eine Situation oder Handlung vom Therapeuten umgedeutet. So wie ein Glas statt als halb leer auch als halb voll angesehen werden kann, kann die psychische Erkrankung eines Kindes statt als Problem auch als Chance angesehen werden.
  • Schlussintervention und Hausaufgabe: Am Ende der Sitzung fasst der Therapeut noch einmal das zusammen, was in der Sitzung besprochen wurde. In einer Schlussintervention können die Familienmitglieder auch dazu gebracht werden, ihre Verhaltensmuster zu überdenken, z.B. mit einer Hausaufgabe, bei der das ungünstige Verhalten (z.B. Streiten) bis zur nächsten Sitzung noch stärker als sonst ausgelebt wird.

Wie viel Unterstützung eine Familie bei der Lösung ihrer Probleme benötigt, ist individuell sehr unterschiedlich. Die systemische Therapie wird häufig als Kurzzeittherapie eingesetzt, bei der das von der Familie festgesetzte Ziel in nur wenigen Sitzungen erreicht wird. Bei Problemen, die sich nur schwer lösen lassen, kann die Familientherapie aber auch mehrere Jahre lang dauern.

Sie und Ihre Familie müssen motiviert sein, etwas an Ihrer aktuellen Notlage zu verändern und in den Sitzungen und bei den Hausaufgaben produktiv mitzuarbeiten. Hilfreich ist es, wenn Sie versuchen, Ihre Gefühle zuzulassen und auszudrücken, wer Schmerz, Wut und Trauer zulassen kann, hat bei der Therapie einen höheren Erfolg.

In Österreich wird diese von eingetragenen Psychotherapeuten mit einer Ausbildung in Systemischer Familientherapie durchgeführt. Auch Psychotherapeuten mit einem Schwerpunkt auf Psychoanalyse oder Verhaltenstherapie können eine Familientherapie durchführen.

Im Abschlussgespräch arbeiten Sie entweder gemeinsam mit dem Therapeuten und ihrer Familie aus, wie Sie mit dem Problem am besten leben können oder was Sie tun müssen, damit das Problem nicht wieder auftritt. Dazu ist es sinnvoll, Warnsignale zu definieren, auf die Sie Acht geben können. Mit ungewohnten Fragen wie: "Was müssen Sie tun, um das Problem wieder einzuladen?" hilft Ihnen Ihr Therapeut, einen drohenden Rückfall in alte Verhaltensmuster rechtzeitig zu erkennen.

Familientherapie sollte nicht angewendet werden, wenn sie das Leiden verschlimmert oder es um sehr intime oder schambesetzte Themen geht. Das kann der Fall sein, wenn z.B. der Verursacher eines Traumas (etwa nach einer Vergewaltigung durch ein Familienmitglied) zur therapeutischen Sitzung eingeladen wird. Auch wenn ein Familienmitglied sehr dominant ist und andere nicht zu Wort kommen lässt, muss überlegt werden, ob es überhaupt sinnvoll ist, diese an einer Sitzung teilnehmen zu lassen.

Bei Psychotherapeuten, die sich noch in Ausbildung befinden, belaufen sich die Kosten für eine therapeutische Einheit (50 min) ab 20 Euro aufwärts. Bei fertig ausgebildeten Therapeuten dauert eine Einheit 90 Minuten und kostet zwischen 120 und 300 Euro. In manchen Behandlungssituationen wird mit zwei Therapeuten gearbeitet.

Von der Krankenkasse wird nur dann ein geringer Anteil zurückerstattet, wenn ein Familienmitglied eine Erkrankung vorweisen kann, die eine psychotherapeutische (Einzel-)Behandlung notwendig macht und die Familienmitglieder zu einem "Angehörigengespräch“ eingeladen werden.

In Wien bietet zum Beispiel die MAG ELF kostenlose Familienberatung an, das Institut für Paar- und Familientherapie nimmt auf schwächere Haushaltseinkommen Rücksicht.

  • Interview mit Kevin J. Hall, BSc (hons), MSc, Psychotherapeut (systemische Familientherapie) und Professional Coach des Österreichischen Coaching Dachverbandes
  • Lehrbuch Klinische Paar- und Familienpsychologie, G. Bodenmann, Verlag Hans Huber, Bern, 2013
  • Systemische Familientherapie – Grundlagen, Methoden und aktuelle Trends, A. Brandl-Nebehay, B. Rauscher-Gföhler, J. Kleibel-Arbeithuber (Hrsg.), Facultas Universitätsverlag, Wien, 1998
  • Familientherapie, W. J. Doherty, S. H. McDaniel, Ernst Reinhardt Verlag, München, 2012
  • Paar- und Familientherapie: Grundlagen, Methoden, Ziele, M. Wirsching, C. H. Beck Verlag, München, 2005
  • Familientherapie im Überblick: Basiskonzepte, Formen, Anwendungsmöglichkeiten, A. von Schlippe, Junfermann Verlag, 12. Auflage, Paderborn, 2010

Redaktionelle Bearbeitung:
Medizinisches Review:
Zuletzt aktualisiert:

2. Mai 2019

Erstellt am:

2. Januar 2017

Stand der medizinischen Information:

2. Mai 2019

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