Pornosucht (zwanghaftes Sexualverhalten)

Menschen mit Pornosucht erleben einen hohen Leidensdruck und haben mit starken Schamgefühlen zu kämpfen.
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Heutzutage stehen Pornos zur unbegrenzten Verfügung und können über mobile Endgeräte jederzeit abgerufen werden.

Medizinische Expertise

Clemens Hrobsky

Mag. (FH) Clemens Hrobsky

Personzentrierter Psychotherapeut
Grundsteingasse 40/4-5, 1160 Wien
www.praxis-hrobsky.at
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Spätestens mit dem Aufkommen des Internets ist Pornografie zu einem Massenphänomen geworden. Die Auswahl an pornografischen Inhalten ist grenzenlos, der Zugang ist fast jederzeit und unkompliziert möglich. 

Ein vermehrter Pornokonsum hat oftmals negative Auswirkungen auf die eigene Sexualität, zwischenmenschliche Beziehungen und viele weitere Lebensbereiche. Für die Pornosucht ist typisch, dass Betroffene einen hohen Leidensdruck erleben, der mit Scham, Isolation und schlechten Gefühlen verbunden ist.

  • Unter Pornosucht versteht man den übermäßigen Konsum pornografischer Inhalte.
  • Menschen mit Pornosucht erleben einen hohen Leidensdruck und Schamgefühle, die ihre Lebensqualität beeinträchtigen.
  • An der Entstehung von Pornosucht sind unterschiedliche Faktoren beteiligt. Neben genetischer Veranlagung sind Persönlichkeitseigenschaften, soziale Ängste, depressive Symptome oder traumatische Erlebnisse zu nennen.
  • Symptome der Pornosucht umfassen emotionale Abstumpfung, Konzentrationsstörungen, Suche nach stärkeren Reizen und in vielen Fällen Erektionsprobleme.
  • Die empfohlene Therapie umfasst Psychotherapie und Selbsthilfegruppen, die Betroffenen helfen, den Pornokonsum einzuschränken.
Art Störung mit zwanghaftem Sexualverhalten
Risikofaktoren soziale Isolation, Traumata und Belastungen, fehlende Bewältigungsstrategie von Emotionen und Stress, genetische Disposition, Unsicherheiten und Defizite in der sexuellen Entwicklung und im Sexualleben
Symptome emotionale Abstumpfung, Suche nach immer stärkeren Reizen, Verlust der Lebensfreude und depressive Verstimmung, Rückzug und Isolierung, Impulsivität und Kontrollverlust
Therapie Psychotherapie

Die Pornosucht wird im ICD-11 als zwanghaftes Sexualverhalten eingestuft. Von einer Abhängigkeit spricht man, wenn Betroffene einen starken Leidensdruck erleben und die Kontrolle über ihren eigenen Pornokonsum verlieren. Ein zwanghaftes Sexualverhalten kennzeichnet intensive, wiederkehrende Sexualimpulse mit einem ausgeprägten Leidensdruck, der über mindestens sechs Monate oder länger andauert. Schätzungen zufolge sind etwa 40.000 Menschen in Österreich von einer Internetsexsucht betroffen. Davon beträgt der Anteil der Männer 90 Prozent.

Bei der Entstehung einer Pornosucht können mehrere Gründe eine Rolle spielen. Es handelt sich meistens um ein Zusammenspiel biologischer, psychischer, genetischer und sozialer Faktoren, die eine Suchterkrankung beeinflussen können. Darunter fallen beispielsweise:

  • traumatische Erlebnisse
  • negative sexuelle Erfahrungen
  • fehlende Bewältigungsstrategien von Emotionen und Stress
  • genetische Disposition (erhöhte Anfälligkeit für Süchte)
  • familiäre Krisen und Belastungsfaktoren
  • Persönlichkeitseigenschaften wie eine hohe Impulsivität oder soziale Angst
  • vorhandene psychische Erkrankungen wie eine Depression, Angsterkrankung oder andere Suchterkrankungen

Grundsätzlich kann sich eine Pornosucht in jedem Alter entwickeln. Wer jedoch als Kind oder Jugendliche:r mit Pornographie in Kontakt kommt und noch wenig oder gar keine sexuelle Erfahrung hat, dem fällt es schwerer, ein gesundes Verhältnis zur eigenen Sexualität aufzubauen. Besonders Jugendliche in der Pubertät vergleichen sich häufiger mit anderen, was beim Thema Sex dazu führen kann, dass Betroffene Pornodarsteller:innen idealisieren. Durch diese hohen Erwartungen kann ein massiver Druck entstehen und das eigene Sexualverhalten stark beeinträchtigt werden.

Die Symptome der Pornosucht können vielfältig sein und variieren von Person zu Person.

Körperliche Symptome:

Psychische Symptome:

  • geringes Selbstwertgefühl oder Selbstvertrauen
  • Schamgefühl
  • niedergeschlagene oder aufgeregte Stimmung
  • Mangel an Motivation
  • verminderte Libido
  • Desinteresse an Sex zugunsten von Pornos
  • Bewusstseinstrübung oder "Gehirnnebel"

Auch Erektionsstörungen, Impotenz und Depressionen können die Folge von übermäßigem Pornokonsum sein.

Konflikte und Isolation:

  • Eine Pornosucht kann für Betroffene sehr belastend sein und sich auf das Arbeits- und Privatleben negativ auswirken. Betroffene ziehen sich zunehmend aus dem sozialen Leben zurück und isolieren sich. Häufig leidet die Partnerschaft unter dem Verhalten und Konflikte treten auf. Familie und Freund:innen werden ebenso vernachlässigt und oft zerbrechen Freundschaften oder Beziehungen. Der Leidensdruck wächst und die Schamgefühle nehmen zu. Dieses Verhalten führt auf lange Sicht zu noch mehr Einsamkeit und schlechten Gefühlen. Betroffene befinden sich in einem Teufelskreis. Anstatt sich Hilfe zu suchen, werden die negativen Gefühle durch noch mehr Pornokonsum kompensiert. Es wird Trost und Zuflucht in der Pornowelt gesucht.

Konzentrationsstörungen und Antriebsverlust:

  • Studien zeigen, dass ein starker Pornokonsum mit Antriebslosigkeit und mangelnder Motivation einhergeht. Die Konzentrationsfähigkeit nimmt ab und viele Betroffene haben mit starker Müdigkeit zu kämpfen. Viele können dadurch ihren beruflichen und privaten Verpflichtungen nicht mehr in gewohnter Weise nachgehen.

Suche nach stärkeren Reizen und Kontrollverlust:

  • Beim Konsum von pornografischen Inhalten wird das Glückshormon Dopamin ausgeschüttet. Dopamin sorgt für gute Laune und löst Glücksgefühle aus. Genau wie bei anderen Verhaltenssüchten muss die Dosierung von Zeit zu Zeit erhöht werden, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Das bedeutet, dass der Körper immer stärkere Reize für das gewünschte Maß an Befriedigung benötigt. Viele pornosüchtige Menschen suchen daher nach immer extremeren und härteren Inhalten, um sexuell erregt zu werden. Dieses Verhalten kann zu Kontrollverlust führen und Angststörungen, Stress und Depressionen auslösen.

Emotionale Abstumpfung und Erektionsprobleme:

  • Eine extreme Pornosucht lässt Betroffene emotional abstumpfen und das Interesse an echtem Sex verlieren. Häufig sind auch Funktionsstörungen wie verzögerte oder ausbleibende Orgasmen und partnerbezogene Unlust eine Folge von intensivem Pornokonsum. In vielen Fällen erleben pornosüchtige Menschen "normalen" Sex nicht mehr als befriedigend. Eine Erklärung dafür ist, dass das Belohnungszentrum im Gehirn ständig mit sexuellen Reizen überstimuliert wird und deswegen "normale" Reize beim echten Sex nicht mehr ausreichen.

Besonders bei jüngeren Rezipient:innen kann dieses Verhalten mit dazu beitragen, dass ein falsches Bild von Sexualität entsteht.

Im Jänner 2022 ist das neue Klassifikationssystem ICD-11 eingeführt worden, welches einige wichtige Neuerungen für die diagnostischen Kriterien enthält. Da jedoch die deutschsprachige Übersetzung noch nicht offiziell vorliegt, wird vorläufig weiterhin das ICD-10 angewendet. Im ICD-10 ist Internetsexsucht nicht angeführt. In der Praxis wird sie jedoch mit der Diagnose F63.8 "Sonstige abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle" verortet.

In der neu überarbeiteten Version des ICD-11 werden zwanghafte sexuelle Störungen aufgenommen. Die Pornosucht fällt unter zwanghaftes Sexualverhalten und gilt als eigenständiges Krankheitsbild. Eine Diagnose erhält man, wenn Betroffene intensive, wiederkehrende Sexualimpulse über längere Zeiträume nicht kontrollieren können und dies ihr Familien- oder Arbeitsleben oder das Sozialverhalten beeinflusst. Bei Erhalt einer Diagnose gibt es die Möglichkeit, eine Psychotherapie in Anspruch zu nehmen.

In der Therapie lernen Betroffene die Ursachen und Gründe der Sucht durch Gespräche genauer kennen und verstehen. Ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen der Therapeut:in und der Klient:in ist wichtig, damit Betroffene offen und ohne Scham über ihre Sucht sprechen können. Es geht darum, alte Verhaltensmuster zu verändern und neue gesunde Verhaltensweisen zu etablieren. Betroffene lernen verschiedene Problemlösungswege, die ihnen helfen, mit der Sucht besser umzugehen.

Wichtige Therapieziele:

  • Bewältigung negativer Gefühle: Im Verlauf der Therapie entwickeln Betroffene Fähigkeiten für einen besseren Umgang mit ihrer Sexualität und ihren Gefühlen.
  • Sexualität neu entdecken: Ein zentrales Therapieziel besteht darin, dass die Betroffenen ihre Sexualität wieder auf eine natürliche und genießbare Weise erleben können. Es geht darum, das Belohnungszentrum auf echte sexuelle Erlebnisse zu sensibilisieren, um eine gesunde und erfüllende Sexualität zu fördern.
  • Achtsame Sexualität: Neben der Wiederherstellung einer natürlichen Sexualität beinhaltet die Therapie auch das Erlernen einer achtsamen Sexualität. Diese zielt darauf ab, bewusster und respektvoller mit den eigenen Bedürfnissen und den Bedürfnissen der Partner:in umzugehen.
  • Stärkung sozialer Kompetenzen: Die Therapie konzentriert sich nicht nur auf das sexuelle Verhalten, sondern beinhaltet auch die Stärkung und Verbesserung sozialer Kompetenzen. Beispielsweise fallen darunter Fähigkeiten für die zwischenmenschliche Kommunikation oder Empathie.
  • Förderung gesunder Beziehungen: Ein wichtiger Aspekt der Therapie besteht darin, mit Betroffenen eine Vorstellung zu entwickeln, wie sie eine gesunde Partnerschaft führen können. Dies beinhaltet die Entwicklung von Fähigkeiten zur Konfliktbewältigung, Kommunikation und gegenseitigen Unterstützung.

In vielen Fällen können auch Selbsthilfegruppen auf dem Behandlungsweg als Unterstützung dienen. NoFap ist eine Internetplattform aus den USA und hilft Menschen mit Pornosucht, den Konsum zu beschränken und über einen längeren Zeitraum nicht mehr zu masturbieren. Auch im deutschsprachigen Raum vernetzen sich Betroffene über NoFap und unterstützen sich gegenseitig. Professionelle Hilfe ist für Betroffene notwendig und sollte bei Bedarf unbedingt in Anspruch genommen werden. Sie trägt zur Besserung und Stabilisierung bei und unterstützt dabei, wieder zurück in ein unbeschwertes und glückliches Leben zu finden.


Autor:in:
Redaktionelle Bearbeitung:
Medizinisches Review:
Erstellt am:

27. November 2023

Stand der medizinischen Information:

27. November 2023


ICD-Code:
  • F63.8

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