Die Chinesische Arzneitherapie kennt 8.000 verschiedene Heilsubstanzen aus der Natur, zu 90 % Pflanzen. Sie ist ein unüberschaubares Feld und es erfordert jahrelang erworbenes Fachwissen, um sie richtig und risikolos anzuwenden. Daher werden in der westlichen Welt lediglich etwa 300 Substanzen herangezogen. Voraussetzung für eine chinesische Arzneitherapie ist eine exakte TCM-Diagnose, die aus verschiedensten Kriterien besteht. Ein ausführliches Arzt-Patienten-Gespräch, Zungen- und Pulsdiagnostik und die persönlichen Lebensumstände sind wichtige Kriterien, die der Arzt in seine "Zusammenschau" einbezieht. In Österreich wird chinesische Diagnostik und Arzneitherapie von Ärzten mit einem speziellen ÖAK-Diplom praktiziert.
Chinesische Diagnostik und Arzneitherapie wird in folgenden Fachrichtungen häufig angewandt:
- Gynäkologie (z.B. PMS, Endometriose)
- Rheumatologie (z.B. Rheuma, Arthrose, Arthritis)
- Dermatologie (z.B. Akne, Schuppenflechte)
- Gastroenterologie
- Strahlentherapie und Chemotherapie
- Neurologie
- Traumatologie
- Geriatrie, sowie
- als Behandlung nach Operationen
Ausgebildete TCM-Ärzte kommen weitgehend ohne Messgeräte und Instrumente aus. Sie arbeiten mithilfe ihrer geschulten Wahrnehmung und beziehen Botschaften des Körpers mit in die Diagnose ein. Unter anderem achten sie darauf, ob der Betroffene nervös ist, eher kälteempfindlich ist oder leicht schwitzt, ob er niedergeschlagen wirkt oder übersprudelt, ob er blass oder rosig ist, der Blick klar oder trüb ist und vieles mehr. Man unterscheidet im Wesentlichen 4 Untersuchungsmethoden:
Zungendiagnostik
Die Zungendiagnostik spiegelt die Funktion der inneren Organe, wie Niere (Zungengrund), Leber, Gallenblase (Zungenränder), Milz, Magen (Zungenmitte), Herz und Lunge (Zungenspitze) wider.
Ausschlaggebend bei der Diagnose sind:
Zungenfarbe:
- Eine "normale" Zunge ist blassrosa und hat einen nur dünnen Belag.
- Rote oder dunkelrote Färbung: Es liegt ein Übermaß an Hitze vor, das heißt, dieses Bild lässt auf Ruhelosigkeit, Stress, Bluthochdruck schließen. Bestehen rote Punkte, kann dies auf einen Infekt hindeuten.
- Blasse Zunge: je nach Belag lässt dies auf Trockenheit (Haut, Haar) schließen. Bei bläulich-blasser, leicht vergrößerter Zunge können Schmerzen (z.B. Rückenschmerzen) vorliegen. Eine stark verdickte, blasse Zunge könnte ein Hinweis auf ein Darmproblem sein.
Zungenbelag:
- Weißlich-dicker Belag deutet auf Magen-Darmprobleme hin.
- Gelblicher Belag lässt auf Störungen der Leber-, Gallen- oder Darmfunktion schließen.
- Bräunlicher Zungenbelag geht oft mit Darmproblemen einher.
Form der Zunge:
- Kleine, dünne Zunge signalisiert Energielosigkeit, Abgeschlagenheit, Blutarmut.
- Geschwollene Zunge deutet auf einen Flüssigkeitsstau hin, die Entgiftungsorgane des Körpers (Niere, Leber) sind überfordert.
- Zunge drückt an die Zähne (Zahnabdrücke): Mögliche Ursachen sind schlechte Ernährung und Energiemangel.
Beweglichkeit der Zunge:
- Eine zittrige Zunge ist eine Begleiterscheinung von Energiemangel, es kann zu plötzlich auftretenden Kopfschmerzen, Schwindel, Kollaps kommen.
- Eine steife Zunge ist ein Zeichen von Hitzestau und lässt auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen schließen.
- Eine schlaffe Zunge ist ein Anzeichen für Energiemangel, aber auch für Störungen in der Balance von Körperflüssigkeiten.
Pulsdiagnostik
Ein erfahrener TCM-Arzt kennt 28 verschiedene Pulsqualitäten, die sich an verschiedenen Positionen messen lassen. So gibt etwa der Pulsschlag an 3 verschiedenen Punkten der linken Hand Aufschluss über den Zustand von Niere, Leber und Herz, an der rechten Hand von Niere, Milz, und Lunge. Ausschlaggebend ist die Frequenz des Pulsschlages in mindestens 1, maximal 3 Minuten, sowie ob der Puls kräftig, voll, gespannt oder nur durch Druck fühlbar ist.
Befragung des Patienten
In einem ausführlichen Gespräch geht der Arzt auf die körperliche und seelische Situation des Betroffenen ein. Er fragt nach vorangehenden Behandlungen, nach Operationen, Medikamenteneinnahmen sowie nach der gegenwärtigen seelischen Verfassung.
Eingehen auf den Betroffenen
Im Zuge des Gesprächs arbeitet der TCM-Arzt mit allen Sinnen. Er beobachtet den Gesichtsausdruck des Betroffenen, dessen Bewegungen, achtet auf seine Stimme, befühlt die Haut und geht auf persönliche Lebensumstände ein. Dadurch ergibt sich für den Arzt ein Gesamtbild der Person, das mit den oben genannten Diagnosemethoden kombiniert wird.
Eine Erstuntersuchung durch einen TCM-Arzt dauert etwa 1 bis 1 1⁄2 Stunden. Diese Zeit ist erforderlich, um sich vom Patienten ein Bild in seiner Ganzheit machen zu können. Befühlen, Beriechen, Besprechen sind nur einige der Praktiken, die zu einer ganzheitlichen Diagnose-Methode zählen. Der Arzt leitet die für ihn sinnvolle Therapie ein, sobald er ein klares Bild von der individuellen Krankheitsentwicklung des Betroffenen gewonnen hat. Erst dann kann der Arzt eine Therapie gemäß der chinesischen Arzneimittelkunde vorschlagen.
8.000 verschiedene Heilsubstanzen aus der Natur, wie etwa Pflanzen (Knollen, Wurzeln, ganze Pflanzen, Früchte, Samen, u.v.m.), Mineralien (Gips, Talcum) oder tierische Inhaltsstoffe (Hirschhorn, Austernmuschel, Zikadenpanzer) kennt die chinesische Arzneitherapie. Tierische Substanzen sind einerseits teuer und werden andererseits aufgrund des Artenschutzes im Westen meist durch pflanzliche ersetzt. Die chinesische Medizin agiert vorrangig im Bereich der Vorsorge, daher sind Arzneien sowohl als Prävention, als auch als Therapeutikum sinnvoll.
Etwa 300 dieser Substanzen werden in der chinesischen Arzneitherapie verwendet. Ihre Wirkung ergibt sich aus einem Zusammenspiel aus
- Temperaturverhalten (kalt, heiß, warm, neutral, kühlend)
- Geschmack (süß, sauer, bitter, salzig, herb, adstringierend (=zusammenziehend, wie z.B. herber Wein oder Tee), geschmacklos)
- Wirkung auf die Lebensenergie "Qi" (aufsteigend, absteigend, verringernd, fließend)
- Wirkung auf Meridiane und Organe
- Giftigkeit (stark, mäßig, wenig)
Jede Arznei muss daher individuell auf den Betroffenen abgestimmt sein. Sie werden als Tees, Pulver, Pillen oder Kräutermixturen verabreicht. So etwa bietet die chinesische Kräutermedizin Rezepturen, die zum Stressabbau beitragen. Dazu kombiniert die TCM 5 bis 15 Kräuter. Dabei entfaltet jedes Kraut seine spezielle Wirkungsweise: So etwa kann ein Kraut erwärmen, ein anderes führt man zu, um die Wirkung der Mischung zu entfalten. Ein anderes wird zugegeben, um die Wirkung an einen bestimmten Ort zu bringen, wieder ein anderes um Nebenwirkungen auszuschalten.
Eine Reihe von Kräutern wurde bereits sehr intensiv im Hinblick auf ihre Wirkung nach westlich- pharmakologischen Maßstäben untersucht.
Nachstehend ein kurzer Auszug über einige "Klassiker" der chinesischen Arzneitherapie, die in Rezepturen verwendet werden. Angeführt sind einzelne Substanzen, die jedoch – je nach Krankheitsbild – kombiniert werden. Über die individuelle Kombination entscheidet der TCM-Arzt.
- Dan Shen (Rotwurzelsalbei): gefäßerweiternd, schmerzstillend – senkt den Blutdruck, hilft bei innerer Unruhe oder Hitzegefühl. Wird z.B. bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bei Schlaflosigkeit oder Leber- und Nierenerkrankungen eingesetzt.
- Dang Gui (Angelikawurzel): belebt das Blut, schmerzstillend – bei Störungen im Blutsystem, wie z.B. Regelstörungen, Prellungen/Blutergüsse, Blutleere. Wird u.a. bei schmerzhafter Regelblutung, bei Verstopfung oder Bauchschmerzen empfohlen.
- He Shou Wu (Polygonumwurzel): gefäßerweiternd, entkrampfend – stärkt Leber und Niere, kräftigt die Knochen, senkt den Cholesterinspiegel, wirkt gegen Arteriosklerose und hilft bei Schlafstörungen. Wird angewendet, um Blutbildung und Darmfunktion anzukurbeln, um Blutfette (Cholesterin) zu senken.
- Bei Sha Shen (Glehnia-Wurzel): lungenbefeuchtend – wirkt bei starkem Husten oder Reizhusten.
- Huang Qi (Astragalus-Wurzel): gefäßerweiternd, blutdrucksenkend – stärkt das Qi, festigt die Haut, kräftigt das Herz, aktiviert das Zentralnervensystem.
- Shan Yao (Yamswurzel): tonisierend, nierenstärkend – fördert die Verdauung, kräftigt das Qi.
Eine chinesische Arzneitherapie muss ausschließlich vom Arzt durchgeführt werden. Nur er kennt die Wirkungsweise der Substanzen und kann unerwünschte (Wechsel-)Wirkungen verhindern. Außerdem sind chinesische Kräuter meist hoch wirksam und können Ihnen im Falle einer Selbstmedikation schaden. So etwa können stärkende (z.B. Yang-tonisierende) Substanzen möglicherweise Beschwerden (Hitze bei Yin-Mangel im Blut) verstärken. In der Schwangerschaft sollte Ihr Arzt unbedingt hinzugezogen werden, da einige Kräuter (z.B. Chinarinde und andere den Blutfluss fördernde Arzneien) nicht eingenommen werden dürfen.
Chinesische Diagnose und Arzneitherapie darf nur von speziell ausgebildeten Ärzten für Allgemeinmedizin und Fachärzten durchgeführt werden, die idealerweise ein einschlägiges, von der Österreichischen Ärztekammer anerkanntes Diplom erworben haben.
Ob eine Therapie wirksam ist, lässt sich nicht von einem Tag auf den anderen feststellen. Ihr Körper braucht einige Wochen, um die gewünschten Reaktionen zu zeigen. Das erfordert mitunter viel Geduld und Selbstdisziplin. Eine entsprechende Therapietreue (Compliance), also die konsequente Durchführung der Therapie, ist Voraussetzung, um den Erfolg sichtbar zu machen.
Die chinesische Arzneimitteltherapie ist vor allem bei chronischen und funktionellen Erkrankungen wirksam. Zur Heilung von Organschäden, schweren Herzerkrankungen, Infektionserkrankungen, in der Notfallmedizin u.ä. ist diese Therapieoption nicht geeignet bzw. kann evtl. in Absprache mit dem Arzt als ergänzende Therapie (komplementär) hilfreich sein.
Die Kosten für eine chinesische Arzneimitteltherapie werden im Allgemeinen nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Für Österreich gibt es jedoch keine einheitliche Regelung, in welchem Fall die Kassen Zuschüsse gewähren. Je nach Diagnose, Therapie und Dauer der Therapie erfolgen mitunter Kostenbeteiligungen, wenn der behandelnde Arzt ein ÖÄK-Diplom hat. Bei einigen privaten Krankenversicherern werden die Kosten für komplementärmedizinische Methoden, u.a. auch für die TCM, im Rahmen einer Zusatzkrankenversicherung übernommen.