Der eingeatmete Sauerstoff wird über die Lunge ins Blut transportiert, wo er sich im Blutplasma löst – ähnlich dem Prinzip, nach dem sich Kohlendioxid in perlenden Getränken verflüchtigt. Dadurch wird der Sauerstoffgehalt des Blutes und in weiterer Folge des Körpers bis um das 20-fache des Normalwertes erhöht.
Diese Therapie wird vor allem in der Akutbehandlung lebensbedrohlicher Situationen (z.B. Kohlenmonoxidvergiftungen, Gas- oder Luftembolien) angewendet. Auch bei chronischen Erkrankungen hat die HBO Wirkung gezeigt, wie etwa bei verminderter Heilungs- und Regenerationsfähigkeit (z.B. diabetischer Fuß, Schäden nach Bestrahlung).
Die hyperbare Sauerstofftherapie wird vor allem bei folgenden Situationen angewendet:
- Kohlenmonoxid- ("Rauchgas") oder Cyanidgasvergiftung
- Dekompressionserkrankung ("Tauchunfall", Luftembolie)
- Schwerste, lebensbedrohende Infekte (z.B. Gasbrand)
- Crush-Verletzung (ausgedehnte Quetschungen im Rahmen schwerer Unfälle)
- Bedrohte Transplantate oder Replantate mit schlechter Durchblutung
- Rehabilitation nach Schlaganfall
- Nicht heilende Wunden (Problemwunden, wie z.B. diabetischer Fuß oder "offene Beine" im Rahmen von Durchblutungsstörungen)
- Spätfolgen nach Bestrahlung im Rahmen bösartiger Tumore, chronische Knochenerkrankungen
- Auf sonstige Therapie nicht ansprechende Migräne, Hörsturz, Knalltrauma und Tinnitus
Die Wirkung der hyperbaren Sauerstofftherapie beruht auf einer Vielzahl pathophysiologischer und physikalischer Effekte:
- Das Plasma und nicht die Blutkörperchen sind für den Sauerstofftransport verantwortlich, daher gelangt Sauerstoff auch besonders leicht in schlechter durchblutete Körperregionen. Darüber hinaus wirkt Sauerstoff unter diesen Bedingungen wie ein hoch effektives Medikament
- Schädigungsmechanismen werden geblockt und gleichzeitig komplexe Reparaturvorgänge in Gang gesetzt
- Die Gefäßneubildung wird durch erhöhte Sauerstoffzufuhr angeregt
- Giftstoffe werden aus ihrer Bindung im Körper verdrängt
Diese Effekte wirken sich je nach Erkrankungsbild unterschiedlich aus:
Der Sauerstofftransport bzw. die Sauerstoffverwertung wird bei Einatmen von Rauchgaskomponenten (in erster Linie Kohlenmonoxid und Cyanid) erheblich beeinträchtigt und kann bleibende Schäden im Gehirn oder Herz nach sich ziehen.
Die HBO verdrängt einerseits die Giftstoffe aus ihren Bindungen im Körper, verhindert aber gleichzeitig die Ausbildung von Folgeschäden im Gewebe – in diesem Fall vor allem im Gehirn. Die Behandlung sollte möglichst rasch, am besten innerhalb von 4 Stunden erfolgen, es sind zumindest 3 Einheiten erforderlich.
Gasblasen im Blut
Gelangen Luftblasen in die Blutgefäße (Luftembolie, Dekompressionskrankheit nach Tauchunfall), verschließen sie diese und behindern dadurch die Sauerstoffversorgung. Wird diese ernste Situation überlebt, können infolge des Sauerstoffmangels vor allem in Gehirn und Rückenmark schwerste, bleibende Schäden auftreten (Lähmungen, Bewusstseinsstörungen etc.).
Die HBO ist eine Notfallmaßnahme, die so rasch wie möglich eingeleitet werden muss. Durch die physikalische Verkleinerung der Gasblasen infolge des erhöhten Umgebungsdrucks wird der Blutstrom rascher wieder frei. Darüber hinaus werden Schädigungsmechanismen in Hirn und Rückenmark gestoppt und gleichzeitig Reparaturprozesse in Gang gesetzt. Die Dauer der ersten Behandlung kann mehrere Stunden dauern. Im Anschluss daran sind oft wochenlange Therapieserien erforderlich.
Lebensbedrohende Infekte
Verschiedene Gruppen von Keimen, wie sie z.B. beim Gasbrand auftreten, können das Gewebe massiv schädigen. Die HBO kann direkt in den Stoffwechsel der Keime eingreifen und sie dadurch am Wachstum hindern. Gleichzeitig werden durch die HBO die Abwehrmechanismen des Körpers unterstützt.
Crush-Verletzungen
Im Rahmen schwerer Unfälle kann es zu ausgedehnten Quetschungen von Gewebe kommen, Verlust von Extremitäten kann die Folge sein. Durch frühzeitige HBO kann es gelingen, Gewebe vor dem Untergang zu retten.
Bedrohte Transplantate und Replantate
Nach der Replantation von – bei Unfällen – abgetrennten Gliedmaßen oder nach Organtransplantation kann es infolge gestörter Durchblutung zum Absterben des Transplantats oder Replantats kommen. Ist vor allem der Blutzustrom gestört, oder liegt eine starke Gewebeschwellung im Replantat vor, kann die HBO zur Rettung des verpflanzten Gewebes beitragen.
Rehabilitation nach Schlaganfall
Viele wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass HBO die Regeneration und die Neubildung von Zellen im zentralen Nervensystem bewirken kann. Dadurch kann die Rückbildung von Symptomen wie Lähmungen, Sprach- und Gedächtnisstörungen unterstützt werden.
Nicht heilende Wunden
Der zugeführte Sauerstoff erreicht auch schlecht durchblutetes bzw. wundes Gewebe und beschleunigt den Heilungsprozess z.B. beim diabetischen Fuß oder bei Durchblutungsstörungen. Die Behandlungsdauer beträgt pro Therapieeinheit etwa 2 ½ Stunden und wird je nach Verlauf 30 Mal oder häufiger durchgeführt.
Spätfolgen nach einer Strahlentherapie
Im Zuge einer Strahlentherapie (z.B. nach Prostatakrebs bzw. Mastdarmkrebs oder Tumoren im Mund-Kiefer-Gesichtsbereich) wird nicht nur der bösartige Tumor, sondern auch umliegendes gesundes Gewebe geschädigt. Durch die höhere Sauerstoffkonzentration im Blut und die größere "Reichweite" des Sauerstofftransports kann das betroffene Gewebe mithilfe der HBO mit Sauerstoff versorgt werden, der seine medikamentöse Wirkung entfaltet. Neue Zellen werden gebildet, Gewebe regeneriert, offene Stellen heilen ab. Dadurch klingen auch Schmerzen ab und Blutungen werden gestoppt. Je nach Schwere der Schädigung sind 30 bis 60 Behandlungen zu je 2 ½ Stunden erforderlich.
Knochen- und Knochenmarkserkrankungen
Bei Knochenmarksentzündung, schwer heilenden Verletzungen des Knochens, der Knochenhaut oder bei Flüssigkeitsansammlung im Knochenmark wird durch HBO die Nähr- und Sauerstoffzufuhr in das sonst nur schwer zugängliche Knochengewebe erhöht.
Abwehrzellen werden aktiviert, Wassereinlagerungen (Ödeme) durch Angriffspunkte an den Gefäßen verringert. Fisteln können dadurch abheilen, Schmerzen werden verringert. Die Behandlungsdauer variiert und richtet sich nach dem individuellen Krankheitsbild.
Hörsturz, Tinnitus, Schall- und Knalltrauma
Die Sauerstoffversorgung der Sinneszellen im Innenohr wird durch die Therapie um das 4- bis 6-fache erhöht. Die Behandlung wird etwa 10 bis 15 Mal je 90 Minuten lang durchgeführt, um das Hörvermögen wieder zu erlangen bzw. um Ohrgeräusche zu verringern. Obwohl das erhöhte Sauerstoffangebot für die Sinneszellen im Innenohr zweifelsfrei nachgewiesen werden kann, ist vor allem beim Tinnitus der Therapieerfolg im Einzelfall schwer vorhersagbar. Daher sollten vor einer HBO bei Tinnitus alle anderen Therapiemaßnahmen ausgeschöpft sein oder zumindest parallel mit der HBO erfolgen.
Bei der hyperbaren Sauerstofftherapie befinden Sie sich in einer Überdruckkammer mit "normaler" Atemluft. Der Druck liegt dabei – je nach Erkrankung – über dem 2- bis 4-fachen des Normaldrucks. In dieser Umgebung wird Ihnen über eine Maske reiner Sauerstoff zugeführt. Da die Druckkammern geräumig sind, können Sie ruhig ein Buch mitbringen, elektronische Geräte jedoch sind nicht gestattet.
Wenn Sie unter folgenden Erkrankungen leiden, ist die HBO nicht zu empfehlen:
- Unbehandeltes Asthma bronchiale, schwere COPD
- Tuberkulose
- Herzerkrankungen (Herzrhythmusstörungen, Herzschwäche, unbehandelter Bluthochdruck)
- Medikamentös nicht stabil eingestellte Anfallserkrankungen (z.B. Epilepsie)
- Akute Infekte, Fieber (Ausnahme: Gasbrand)
- Psychiatrische Erkrankungen (z.B. Schizophrenie, bestimmte Angststörungen)
- Bei schwangeren Patientinnen kann und muss die HBO als lebensrettende Sofortmaßnahme bei den Akutindikationen eingesetzt werden. Bei nicht lebensbedrohenden Situationen hat die HBO jedoch während der Schwangerschaft zu unterbleiben.
- Der Druckausgleich im Mittelohr muss möglich sein, weil sonst Schäden am Trommelfell und im Mittelohr auftreten können. Vor der Behandlung wird daher eine Untersuchung beim Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten empfohlen.
Je nachdem, um welche Erkrankung es sich handelt, muss in Absprache mit dem behandelnden Arzt ein genauer Nachbehandlungsplan erstellt werden. Der Erfolg der Therapie wird in festgesetzten Nachuntersuchungen überprüft.
Die Therapie wird von Ärzten verschiedener Fachrichtungen, die ein Diplom "Druckkammerarzt" erworben haben, durchgeführt.
Eine HBO ist (außer bei Kohlenmonoxidvergiftungen, Luftembolie und Dekompressionskrankheit sowie Gasbrand) eine ergänzende Therapieoption. Sie sollten daher mit Ihrem behandelnden Arzt gemeinsam vorgehen und die Sinnhaftigkeit einer HBO abwägen. Die ursprüngliche Behandlung der Grunderkrankung muss weitergeführt werden. Falls Sie Raucher sind, sollten Sie in jedem Fall den Nikotinkonsum einstellen, weil er die positiven Effekte der HBO reduziert.
Die Akutbehandlung der genannten Notfallindikationen wird von den Kassen übernommen. Bei anderen Indikationen (z.B. diabetischer Fuß, Schäden nach Bestrahlung) wird die ambulante Therapie von den meisten Sozialversicherungsträgern übernommen.
- Klinische Abteilung für Thoraxchirurgie und Hyperbare Chirurgie Universitätsklinik für Chirurgie Graz/Druckkammer (27.10.2014)
- Hyperbare Sauerstofftherapie bei hämorrhagischer Strahlenzystitis nach Prostatakarzinom (27.10.2014)
- Hyperbare Sauerstofftherapie bei therapierefraktärem Pyoderma gangraenosum (27.10.2014)
- Druckkammerzentrum Freiburg (27.10.2014)